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InterviewSprechen für verschiedene Generationen: Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend, und Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb bundesseniorenvertretung. Foto: Habenicht/Urban
dbb jugend und dbb senioren Wie blicken Jung und Alt auf eine allgemeine Dienstpflicht?
Musterung, Wehrdienst, Dienstpflicht: Die Diskussion um die Verteidigungsfähigkeit des Landes polarisiert. Zwei Gewerkschafter beziehen Stellung.
Die Musterung wird wieder zur Pflicht, sie soll ab dem 1. Januar 2027 für alle jungen Männer gelten, die ab dem 1. Januar 2008 geboren sind. Das sieht der Neue Wehrdienst vor, auf den sich die Bundesregierung geeinigt hat. Losverfahren, allgemeine Dienstpflicht für alle, die Einbeziehung von Frauen – so lauten Stichworte aus der politischen Debatte, die kontrovers geführt wurde. Und beendet ist sie noch lange nicht.
Dies haben die Magazine #staatklar und Aktiv im Ruhestand zum Anlass genommen, das Thema mit verschiedenen Generationen zu vertiefen. Wie denken Jung und Alt über die Musterung und eine allgemeine Dienstpflicht? Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend, und Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb bundesseniorenvertretung, schildern ihre Perspektiven – und richten Forderungen an die Politik.
Herr Klitzing, Herr Fandrejewski, haben Sie gedient oder ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert?
Klitzing: Ja, 18 Monate Bundeswehr mit freiwilliger Verpflichtung auf zwei Jahre. Mein letzter Dienstgrad war Leutnant der Reserve.
Fandrejewski: Nein, das habe ich nicht. Ich habe nach der Schule erst eine Berufsausbildung gemacht. Im Anschluss, 2011, musste ich zur Musterung – als einer der letzten, die überhaupt gemustert wurden. Wenige Wochen später hat der Bundestag die Wehrpflicht ausgesetzt. Deshalb musste ich nicht zum Bund und auch keinen Zivildienst leisten.
Welche Erinnerungen verbinden sich für Sie mit dieser Zeit?
Klitzing: Gemischte. Interessante Begegnungen mit Personen, mit für einen Abiturienten fremden beruflichen und persönlichen Erfahrungen; das war hilfreich bei meiner Entscheidung über die Studienwahl. Auf der anderen Seite viel zeitliche „Gammelei“ im Normaldienst jenseits der Lehrgänge.
Fandrejewski: In meinem Umfeld gab es viele, die sich nach der Schule zivilgesellschaftlich im In- und Ausland engagiert haben, im Rahmen des Zivildienstes, eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder des Work-and-Travel-Programms. Meine Wahrnehmung ist: All das erweitert den eigenen Horizont und ist auch für die Gesellschaft von großer Bedeutung.
Niemand soll, das steht für mich an oberster Stelle, gegen seinen Willen zur Bundeswehr müssen.
Matthäus Fandrejewski
Die personelle Aufstockung der Bundeswehr soll über Freiwillige erfolgen. Erst wenn sich so nicht genügend von ihnen finden, würde die Wehrpflicht wiedereingeführt. Freiwilligkeit hier, der Bedarf, mit dem die Verteidigung steht und fällt, dort – wie denken Sie über diesen Zielkonflikt?
Fandrejewski: Den Zielkonflikt sehe ich auch. Natürlich erfordert die sicherheitspolitische Lage, dass wir ausreichend Soldatinnen und Soldaten haben. Andererseits hat das Grundgesetz vorgesehen, dass niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden kann. Niemand soll, das steht für mich an oberster Stelle, gegen seinen Willen zur Bundeswehr müssen. Deshalb habe ich auch den Vorschlag mit dem Losverfahren, der anscheinend aber vom Tisch ist, sehr kritisch gesehen.
Klitzing: Die Überlegung der „Freiwilligkeit“ entspringt dem Unwillen zu einer politischen Entscheidung gegen den Zeitgeist. Naturgemäß würde die bei Betroffenen immer auch auf Ablehnung stoßen. Zudem scheint die Presse mehrheitlich gegen eine neue Wehrpflicht zu sein. Deren Vertreter stammen aus einer Zeit bequemen Wohlstands und des Widerstands gegen die Atomkraft, die Stationierung von amerikanischen Raketen in Deutschland und die Ausbildung an Waffen zu Verteidigungszwecken.
Früher war ein Wehrdienst für Frauen nicht vorgesehen, weil die ja die Kinder bekamen. Ist dieses Argument veraltet?
Klitzing: Grundsätzlich nicht, aber nach der Zulassung der Einstellung von Frauen in die Bundeswehr kann es nicht mehr als zeitgemäß angesehen werden.
Fandrejewski: Natürlich sind Frauen heute deutlich gleichberechtigter als damals. Dennoch sind Frauen, die Kinder kriegen, weiterhin in Berufsleben und Rente benachteiligt. Die Politik müsste bei der Wehrpflicht für Frauen also entsprechend nachsteuern, damit sich diese Ungleichheiten nicht weiter verstärken.
Ist die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht vielleicht die bessere Alternative zur Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Klitzing: Nein, nicht aus meiner Sicht, denn das löst das Problem der notwendigen Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit nicht. Man sollte politisch parallel vorgehen: Wehrpflicht ja, und wenn die aus individuellen Gründen nicht möglich ist, dann allgemeiner sozialer Dienst in angemessenem Umfang.
Fandrejewski: Mit einem Wehrdienst muss aus meiner Sicht die Freiwilligkeit einhergehen. Wichtig ist mir auch zu betonen, dass die oft als „faul“ verschrienen jungen Menschen, insbesondere die der Gen Z, nicht zu einem Gesellschaftsjahr verpflichtet werden müssen. Bereits heute engagieren sich sehr viele Junge ehrenamtlich, in Vereinen, in der Politik oder in Gewerkschaften – und das mit großem Einsatz und viel Leidenschaft.
Bei einer Dienstpflicht sollte der Einsatz im Gemeinwesen einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit sein.
Horst Günther Klitzing
Sollte es aus Gründen der Generationengerechtigkeit nicht auch eine Dienstpflicht für die Alten geben?
Klitzing: Dieser Vorschlag soll meines Erachtens nur von einer notwendigen, aber kontrovers diskutierten Entscheidung ablenken.
Fandrejewski: Wir sollten uns von der Vorstellung lösen, dass zivilgesellschaftliches Engagement an ein bestimmtes Alter gekoppelt ist. Jung und Alt engagieren sich bereits umfassend. Es ergibt keinen Sinn, die Altersgruppen gegeneinander auszuspielen. Und im Kern geht es doch darum, dass die Bundeswehr zu wenige Leute hat und um die Jungen wirbt. Da geht es auch um die Frage, was für diejenigen gelten soll, die den Kriegsdienst verweigern. Es wäre unfair, wenn die einen zum Bund gehen und die anderen nichts machen – deshalb diskutieren wir über die allgemeine Dienstpflicht.
Welche Bildungs- und Karrierevorteile könnten die Attraktivität einer Dienstpflicht erhöhen?
Klitzing: Nur bei Wehrpflicht, das wären aus meine Sicht Ausbildungsabschlussangebote bis hin zur Möglichkeit eines Studiums bei der Bundeswehr bei entsprechend langfristiger Verpflichtung. Bei einer Dienstpflicht sollte der Einsatz im Gemeinwesen einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit sein.
Fandrejewski: Die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht bietet den Vorteil, dass sie nicht nur auf militärischen Dienst ausgerichtet ist, sondern auch soziale, gesundheitliche, politische oder kulturelle Bereiche umfassen kann.
Kann ein solcher Dienst junge Menschen langfristig für soziale und handwerkliche Berufe gewinnen?
Klitzing: Das ist denkbar und möglich, aber sicher nicht planbar.
Fandrejewski: Da muss ich aus gewerkschaftlicher Sicht klarstellen, dass der Zweck eines verpflichtenden Dienstjahres nicht primär sein soll, den Fachkräftemangel zu kompensieren! Wenn sich für den einen oder anderen herausstellt, dass eine Tätigkeit den eigenen Berufswünschen entspricht, dann ist das natürlich kein Problem, ganz im Gegenteil.
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Welche Vor- und Nachteile können mit einem sozialen Pflichtjahr einhergehen?
Klitzing: Die Vorteile sehe ich im Kennenlernen von Schwierigkeiten jener Menschen, die auf gesellschaftliche Hilfe angewiesen sind, aber nicht so im Medienfokus stehen oder im Median gesellschaftlichen Lebens. Ein Nachteil wäre die möglichweise entstehende Konkurrenz zwischen (kostenfreien) Dienstleistenden und regulär Beschäftigten. Wenn die aus Jobs verdrängt würden, fände ich das als Gewerkschafter fatal.
Fandrejewski: Junge Menschen leben in einer Realität, in der sie mit unendlich vielen Möglichkeiten konfrontiert sind. Die Horizonterweiterung, die ein Pflichtjahr mit sich bringen würde, ist ein großes Plus. Es darf aber kein Nachteil für das spätere Leben entstehen, etwa weil es weniger Rente gibt.
Bereits heute können Junge ein Freiwilliges Politisches Jahr absolvieren. Könnte ein Pflichtjahr auch bei uns in der Gewerkschaft absolviert werden?
Klitzing: Praktikumsähnlich und in geringfügigem Umfang wäre das in der Bundesgeschäftsstelle denkbar. Soll es darüber hinaus gehen, müsste das wohlwollend mit den Mitgliedsgewerkschaften diskutiert werden.
Fandrejewski: Grundsätzlich kann ich mir das gut vorstellen. Es geht darum zu vermitteln, welche Rolle Gewerkschaften als Akteure bei der politischen Willensbildung spielen. Das ist gerade in Zeiten, wo das Verständnis für Demokratie eher abnimmt, von großer Bedeutung.
Interview: Anke Adamik und Christoph Dierking
Bundesregierung setzt vorerst auf Freiwilligkeit
Der Neue Wehrdienst der Bundesregierung sieht vor, dass allen 18-jährigen Männern und Frauen ab Anfang 2026 ein Online-Fragebogen zugesandt wird. Männer müssen ihn ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Grundsätzlich geht es darum, das Interesse am Dienst in der Bundeswehr abzufragen. Wer geeignet ist, erhält eine Einladung zur Musterung.
Ab dem 1. Juli 2027 soll die Musterung, also die ärztliche Untersuchung auf Wehrdiensttauglichkeit, für alle Männer ab dem Jahrgang 2008 verpflichtend sein. Ziel ist, einen Überblick über potenziell verfügbares Personal zu gewinnen. Melden sich nicht genug Freiwillige, kann der Bundestag eine Bedarfswehrpflicht beschließen. Auch ein Losverfahren wäre laut Bundesverteidigungsministerium in diesem Fall denkbar. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bleibt bestehen; das garantiert das Grundgesetz.