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Im Ehrenamt durchstarten? Susanna Hölscher erklärt, über welche Fragen man sich Gedanken machen sollte. Foto: Die Hoffotografen GmbH
Ehrenamtliches Engagement Wie finde ich das richtige Ehrenamt?
Auf der einen Seite stehen die Menschen, die etwas tun wollen, auf der anderen die Organisationen, die darauf angewiesen sind. Ehrenamts-Expertin Susanna Hölscher erklärt, wie beide Seiten zueinanderfinden.
Alle haben Erwartungen, alle haben Motive, und es ist wie so oft im Leben: Schlüssel und Schloss müssen zueinander passen. Das gilt auch mit Blick aufs ehrenamtliche Engagement.
Susanna Hölscher, Inhaberin und Gründerin von Ziel & Lösung, begleitet Organisationen, Vereine und Verbände. Sie unterstützt dabei, Ehrenamtliche zu finden und sie mit den passenden Aufgaben zusammenzubringen.
Wie das in der Praxis aussehen kann? Einmal hat Hölscher einen Sportverein beraten. „Die Vorstandsmitglieder waren verzweifelt, weil kaum jemand zu den Versammlungen gekommen ist“, erinnert sie sich. „Ich habe gefragt, wie groß eigentlich ihre eigene Lust und Motivation für ihre eigenen Versammlungen ist.“ Bedrückendes Schweigen, dann die Antwort: eher gering. „Auf dieser Grundlage haben wir gemeinsam überlegt, wie sich die Versammlungen attraktiver und interessanter gestalten lassen.“
Der Perspektivwechsel ist entscheidend: Wer freiwillig Verantwortung übernimmt und sich in Ehrenämter wählen lässt, sollte sich immer wieder mal daran erinnern, wie es war, selbst ins Ehrenamt einzusteigen, und sich in die anderen Ehrenamtlichen hineinversetzen. Und wer sich engagiert, sollte ein Verständnis dafür entwickeln, was für die Organisation wichtig ist, bei der er oder sie sich einbringt.
Für #staatklar hat Susanna Hölscher beide Perspektiven eingenommen.
Perspektive 1: Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten
Wie finde ich für mich das richtige Ehrenamt?
Susanna Hölscher: Was will ich eigentlich? Worauf habe ich Lust? Was motiviert mich? Das sind zentrale Fragen, die ich mir stellen muss. Denn es gibt unendlich viele Möglichkeiten, ehrenamtlich tätig zu werden.
Es hilft, sich – jenseits der eigenen Interessen – mit verschiedenen Leitfragen zu beschäftigen. Die erste große Frage betrifft das verfügbare Zeitbudget. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Oft kommt es zu Veränderungen, insbesondere bei jungen Menschen. Ausbildung, Studium, Beruf, Familie: Es ist nicht einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Der Tag hat 24 Stunden, die Woche sieben Tage. Man muss sich klarmachen, wie viel Zeit realistischerweise für ein Ehrenamt bleibt. An welchen Tagen gibt es noch freie Kapazitäten? Oder ist gegebenenfalls ein punktuelles Engagement sinnvoller?
Die zweite große Frage betrifft die Motivation: Warum will ich mich engagieren? Die Ziele können sehr unterschiedlich sein. Dem ersten geht es darum, neue Menschen kennenzulernen oder andere Menschen zu unterstützen. Die zweite wünscht sich einen Ausgleich zum Job. Andere wiederum möchten sich weiterentwickeln und neue Kompetenzen erwerben.
Fragen, die ebenfalls aufschlussreich sein können: Wie viel Verantwortung möchte ich im Ehrenamt übernehmen und kann ich dieser Verantwortung gerecht werden? Schließlich ist es so, dass sich andere Menschen auf einen verlassen. Und gibt es bestimmte Voraussetzungen, die ich erfüllen muss? Das kann zum Beispiel ein Führerschein sein.
In welchem Verhältnis sollte das Ehrenamt zu meinem Beruf stehen?
Susanna Hölscher: Es gibt Menschen, deren Ehrenamt eng mit dem Beruf verzahnt ist. Das ist vor allem bei gewerkschaftlichem Engagement der Fall, wo es vor allem um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht. Die Verzahnung kann aber auch darin bestehen, dass man im Ehrenamt Aufgaben übernimmt, die den beruflichen Kompetenzen ähneln – ich denke da etwa an den Banker, der sich im Verein um die Kassenführung kümmert.
Legitim wäre aber auch, wenn der Banker sagen würde: „Nein, bloß nicht! Ich habe doch den ganzen Tag schon mit Finanzen zu tun. Wenn ich Aufgaben übernehme, die ich im Job mache, kann ich genauso gut im Job bleiben!“ Die Realität im Vereinsleben zeigt, dass aus dem Job verfügbare Kompetenzen gerne genutzt werden. Wer das nicht möchte, sollte das von Beginn an klar kommunizieren.
Spannend finde ich: Das Ehrenamt kann auch als geschützter Raum fungieren, in dem man sich ausprobiert und wächst. Es bietet die Chance, die eigene Komfortzone zu verlassen – und das in der Regel mit weniger Druck als es im Berufsleben der Fall wäre. Vorträge halten? Oder moderieren? Den LKW-Führerschein bei der Freiwillen Feuerwehr machen? Das können Kompetenzen sein, die sich auch im Berufsleben nutzen lassen.
Was mache ich, wenn es doch alles zu viel wird?
Susanna Hölscher: Dieses Problem lässt sich minimieren, indem ich mir von Anfang an Gedanken über mein Zeitbudget mache. Aber klar, Lebensumstände und die damit verfügbare Zeit können sich auch ändern. Viele bleiben erstmal dabei, weil die Motivation ja nach wie vor vorhanden ist, und geraten immer mehr in Stress. Irgendwann holt sie die Realität ein.
Ich empfehle, regelmäßig zu reflektieren, ob alles noch passt. Und wenn das Zeitbudget nicht mehr ausreicht, ist es im Zweifel besser und fairer, klar mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Ehrenamt über Veränderungen und Wünsche zu sprechen. Sonst haben die anderen keine Chance zu reagieren. Oft entstehen im Gespräch Ideen, wie es anders weitergehen kann.
Eine Möglichkeit ist gegebenenfalls, eine Pause einzulegen und später wieder einzusteigen. Das ist durchaus üblich. Manchmal ist es aber auch einfach besser zu sagen: Ich steige an dieser Stelle aus.
Perspektive 2: Organisationen, die um Ehrenamtliche werben
Wie lassen sich Menschen für ehrenamtliches Engagement gewinnen?
Susanna Hölscher: Ganz wichtig ist, dass sich eine Organisation bewusst macht, warum sie ehrenamtliches Engagement braucht. Welche Aufgaben gibt es überhaupt? Die klassische Antwort auf diese Fragen lautet: „Bei uns kann man alles machen!“ Das ist fatal, weil die Antwort keine Orientierung bietet. Sie ist nichtssagend. Wenn ich als Antwort „alles“ bekomme, weiß ich am Ende nichts.
Ich rate allen Organisationen, eine Art Inventur zu machen. Für welche Aufgaben können wir die Unterstützung von Ehrenamtlichen gebrauchen? Je konkreter, desto besser. Daraus ergibt sich alles weitere – zunächst die Antwort auf die Frage, was man denn in der Organisation machen kann, welche Kompetenzen die Ehrenamtlichen mitbringen sollten, kurzum: Wer eigentlich gesucht wird.
Und vor allem lassen sich auf dieser Grundlage konkrete Erwartungen formulieren. Gutes Erwartungsmanagement ist ganz entscheidend. Wenn beide Seiten unterschiedliche Erwartungen haben, dann geht es früher oder später auseinander.
Ganz wesentlich ist auch das Onboarding: Wer sich ehrenamtlich einbringt, will sich willkommen fühlen und wissen, wer gegebenenfalls offene Fragen beantwortet. Zeit, die Organisationen ins Onboarding investieren, ist niemals verschenkt! Im Gegenteil, sie trägt zur Bindung bei.
Nicht zuletzt spielen Themen, die in der Berufswelt von Bedeutung sind, auch im Ehrenamt eine Rolle: der Wunsch nach Flexibilität, und wenn man so will, auch nach Homeoffice. Organisationen gewinnen und binden Menschen, wenn sie flexibel auf ihre Lebensrealitäten eingehen.
Wo bestehen Parallelen und Unterschiede zwischen Ehrenamt und Berufswelt?
Susanna Hölscher: Der größte Unterschied ist die vertragliche Bindung, die im Ehrenamt nicht besteht; dadurch entsteht ein Rahmen, mit dem Freiwilligkeit einhergeht.
Was Führungsverantwortung betrifft, bestehen jedoch viele Gemeinsamkeiten – bei THW und Feuerwehr muss jemand den Hut aufhaben, sonst funktioniert es nicht. Hier ist Führung auch disziplinarisch zu verstehen, analog zur Personalabteilung in Unternehmen. Und inhaltliche Führung findet im Ehrenamt genauso statt. Wer ein Wahlamt innehat, Mitglied eines Gremiums ist oder andere anleitet, hat Weisungsbefugnisse und setzt den Rahmen.
Wie sollte man reagieren, wenn sich Personen aus dem Ehrenamt zurückziehen?
Susanna Hölscher: Kommunikation ist alles! Viele Organisationen und Vereine gehen zu wenig mit ihren Ehrenamtlichen ins Gespräch, nach dem Motto: „Sie werden sich schon melden, wenn etwas ist.“ Das ist zwar in manchen Fällen richtig. Die Erfahrung zeigt aber auch: Mitunter bleiben Ehrenamtliche einfach weg, wenn ihnen etwas nicht passt, und ghosten die Organisation. Frust und Konflikte lassen sich durch regelmäßige Kommunikation vorbeugen – das ist in meinen Augen der springende Punkt.
Ein möglicher Grund, weshalb sich Ehrenamtliche abwenden, kann auch Überforderung sein. Deshalb sollten Aufgaben stets auf Augenhöhe und im gegenseitigen Einverständnis übertragen werden. Im Ehrenamt geht es auch darum, Entwicklungsräume zu öffnen – und wenn nötige Kompetenzen fehlen, ist es ganz entscheidend, die Leute an die Hand zu nehmen und die fehlenden Kompetenzen zu vermitteln, beispielsweise durch ein Seminar.
Ehrenamt bedeutet nicht, dass Leute kommen, denen ich sage, was sie zu tun haben, und ansonsten gilt: „Die Leute können ja froh sein, dass sie bei uns mitmachen dürfen.“ Sichtweisen wie diese haben nichts mit einem modernen und respektvollen Verständnis von Ehrenamt zu tun.
Redaktion: Christoph Dierking