- Lisa hat ihre Politikaktionswoche im Büro der Grünen-Abgeordneten Jamila Schäfer (Grüne) verbracht. Foto: Privat
Politikaktionswoche „Einfache Lösungen gibt’s nicht!“ – Blick hinter die Kulissen des Bundestags
Bei der Politikaktionswoche der dbb jugend machen junge Menschen Praktika bei Abgeordneten. Lisa Eder ist eine von ihnen – und mit vielen neuen Erkenntnissen in ihre Heimatstadt München zurückgekehrt.
Ein Montagmorgen im September, Lisa ist im Berliner Stadtzentrum schon an der Station „Unter den Linden“ ausgestiegen. Der Weg führt sie über den Pariser Platz durchs Brandenburger Tor, dann muss sie rechts abbiegen. Wenig später steht sie vor der Dorotheenstraße 101. In dem Gebäude, schräg gegenüber vom Reichstag, befindet sich das Büro von Jamila Schäfer, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Lisa meldet sich am Empfang an. „Ich war schon etwas aufgeregt, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt“, erinnert sie sich. „Aber die Aufregung ist fast sofort wieder verflogen.“
Fünf Tage Berlin, fünf Tage Politik pur: Der zuständige Büroleiter holt Lisa ab, ihre Politikaktionswoche beginnt. Die dbb jugend ermöglicht es jungen Menschen regelmäßig, ein Praktikum im Bundestag zu machen. Wenn es um Gesetze geht, sitzen Gewerkschaften als wichtige Akteure der demokratischen Willensbildung mit im Boot: Sie beziehen Stellung zu Initiativen, geben Empfehlungen ab und schöpfen dabei aus dem Erfahrungsschatz ihrer Mitglieder.
Umso wichtiger ist es, sich mit dem politischen System der Bundesrepublik auszukennen. Wie sieht der Alltag von Bundestagsabgeordneten aus? Was passiert alles, bis ein Gesetz sich seinen Weg durchs Parlament gebahnt hat? Kurzum: Wie funktioniert Politik? Diese Fragen stehen im Fokus.
Mammutaufgabe: Interessen unter einen Hut bringen
„Eigentlich ist es logisch, dass Politik unfassbar komplex ist, aber durchs Praktikum ist mir das noch einmal stark bewusst geworden“, sagt Lisa rückblickend. Schwerpunkte setzen, Kompromisse finden und die Lebensrealität möglichst vieler Menschen berücksichtigen, das sei eine enorme Herausforderung. „Einfache Lösungen gibt‘s nicht!“
Doch der Reihe nach – der Büroleiter stellt Lisa den Mitarbeitenden vor, die Münchnerin erzählt von ihrem Werdegang: Ihr Studium zur Diplom-Verwaltungsfachwirtin hat sie gerade abgeschlossen, mit dem Schwerpunkt Sozialverwaltung. Aktuell arbeitet sie im Zentrum Bayern für Familie und Soziales (ZBFS), einer dem Sozialministerium untergeordneten Behörde. Dort kümmert sie sich um Anträge von Menschen mit Behinderungen und prüft den sogenannten Grad der Behinderung (GdB), der für bestimmte Leistungen maßgeblich ist.
Ihre Motivation fürs Praktikum im Politikbetrieb? „Ich bin politisch sehr interessiert und verfolge das Geschehen aufmerksam“, sagt Lisa, die sich in den Jugendauszubildendenvertretungen ihres Arbeitgebers engagiert. „Deshalb wollte ich mehr über die Organisation lernen und die Prozesse besser verstehen“ – eine Bekannte, die sich bereits an der Politikaktionswoche beteiligt hat, habe sie ermutigt, sich ebenfalls zu bewerben. Erforderlich sind ein Lebenslauf und ein Motivationsschreiben. „Ich habe alles vorbereitet, abgeschickt und dann die Zusage bekommen!“
Haushaltspolitik: viele Pläne, wenig Geld
Die Zeit im Regierungsviertel vergeht wie im Flug. Zahlreichen Sitzungen stehen auf dem Programm. Jamila Schäfer ist Haushaltspolitikerin, entsprechend geht es fachlich vor allem um Haushaltsthemen. Lisa kann überall dabei sein und zuhören. Bei der Nachbereitung der Termine bezieht das Abgeordnetenbüro sie ein und lässt sie Teaser zu Schäfers Reden und Debattenbeiträgen schreiben, die auf der Website eingestellt werden.
Die Praktikantin realisiert, wie schwierig es ist, Prioritäten zu setzen und zu entscheiden, wohin die finanziellen Ressourcen fließen sollen. „Wenn die Parteien ihre Anliegen vortragen und begründen, warum für etwas Geld gebraucht wird, klingt das für mich immer total nachvollziehbar“, sagt sie. Infrastruktur, Bildungsprojekte, Unterstützung für Menschen in Krisenregionen – „in meinen Augen alles wichtig. Da ist es bitter, wenn die Mittel begrenzt sind.“
Begrenzt ist oft auch die Zeit. Lisa ist von dem Pensum, das die Abgeordneten leisten, beeindruckt. „Das ist ein ultraharter Job mit sehr vielen Wochenstunden, auch abends und am Wochenende finden Termine statt. Wenn jemand nicht bei einer Sitzung ist, liegt das meist daran, dass parallel ein anderer Termin stattfindet.“
Wir müssen die Demokratie verteidigen. Sie ist nicht selbstverständlich, das ist mir nach der Generaldebatte noch einmal stark bewusst geworden.
Lisa Eder
Trotz des straffen Programms nimmt sich Jamila Schäfer Zeit fürs persönliche Gespräch. Die Diplom-Verwaltungswirtin schildert der Politikerin, was sich aus ihrer Sicht im öffentlichen Dienst ändern muss. „Für uns ist die Personalknappheit ein Riesenthema“ – der persönliche Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern komme zu kurz, sei aber von enormer Bedeutung. „Hinter jeder Akte steckt ein Mensch!“
Generaldebatte: Mitten im Geschehen
Die Stimmung im Abgeordnetenbüro empfindet Lisa als offen und herzlich. Es wird gemeinsam Mittag gegessen, alle bieten sofort das „Du“ an, sind sehr nahbar. Das gilt auch für andere Abgeordnete, beispielsweise für Ricarda Lang, ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen.
Bei der Generaldebatte im Bundestag sitzt die Münchenerin auf der Zuschauertribüne. Sie ist live dabei, als die neuen Verfassungsrichter*innen – Ann-Katrin Kaufhold, Sigrid Emmenegger und Günter Spinner – die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erhalten und damit ins Amt kommen. Hier wird die Politik endgültig greifbar.
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Was Lisa beschäftigt und nachdenklich stimmt: die Redebeiträge und vielen Zwischenrufe aus der Fraktion am rechten Rand. „Wir müssen die Demokratie verteidigen“, unterstreicht Lisa. „Sie ist nicht selbstverständlich, das ist mir nach der Generaldebatte noch einmal stark bewusst geworden.“ Ganz entscheidend sei, dass die Politik die jungen Menschen mitnimmt und sie nicht mit ihren Sorgen und Nöten allein lässt. Über das Erstarken der Rechten in ganz Europa tauscht sich die Praktikantin auch mit Jamila Schäfer aus – ein prägendes Zitat: „Wenn ich die Hoffnung und den Glauben an die Demokratie verliere, dann kann ich nach Hause gehen.“
Was Lisa allen mit auf den Weg gibt, die überlegen, sich ebenfalls an Politikaktionswoche zu beteiligen? „Macht’s! Ihr werdet eine gute Zeit haben und viel lernen!“
Text: cdi
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