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Wirbt für eine progressive Drogenpolitik: Burkhard Blienert, der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Foto: Sucht- und Drogenbeauftragter/Thomas Ecke
InterviewSuchtbeauftragter fordert: „Wir brauchen eine andere Perspektive auf Drogen“
2022 ist die Zahl der Drogentoten erneut gestiegen – um fast neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Worauf es jetzt ankommt, um junge Menschen zu schützen, schildert der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert im Interview.
#staatklar: Herr Blienert, knapp 2000 Menschen sind im vergangenen Jahr an den Folgen illegalen Drogenkonsums gestorben. Laut Bundeskriminalamt waren davon 392 unter 30 Jahre alt, 21 sogar erst minderjährig. Wie kann die Gesellschaft junge Menschen schützen?
Burkhard Blienert: Was wir brauchen, ist zum einen mehr Aufklärung und eine Stärkung der eigenen Risikokompetenz. Denn es lässt sich nicht vermeiden, dass Jugendliche irgendwann mit Drogen konfrontiert sind. Es gibt bereits viele gute Projekte, aber die müssen wir noch flächendeckender in die Schulen bekommen.
Zum anderen sind mehr frühe Angebote erforderlich. Heißt: Jugendliche brauchen direkte Ansprache und bei Bedarf auch Hilfe, wenn sie mit Drogenkonsum auffallen. Nicht missverstehen: Ich will keine Bestrafung, sondern ein Gespräch mit professionellen, gut geschulten Präventionsfachleuten – oder bei Bedarf auch ein Gruppenprogramm. Letzteres setzen wir bereits um: FreD, das steht für „Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumierenden“, soll verhindern, dass junge Menschen überhaupt abhängig werden.
Schauen wir noch einmal genauer auf die aktuelle Statistik: Welche Todesfälle sind dort erfasst?
Die jüngst veröffentliche Statistik zu den Drogentoten beinhaltet nur die Todesfälle im Zusammenhang mit Substanzen, die im Betäubungsmittelgesetz als illegal gelistet sind, beispielsweise Opioide, Kokain und Amphetamine.
Studien, die etwa das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gibt, enthalten auch Daten zur Verbreitung von Alkohol, Tabak und Glücksspiel. Ich weise immer explizit darauf hin, dass fast 2000 Todesfälle, die mit illegalen Drogen in Verbindung stehen, viel zu viele sind. Erst recht gilt das aber natürlich für die etwa 150.000 tödlichen Erkrankungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Rauchen oder Alkoholkonsum stehen. Und auch Glücksspiel führt zu Todesfällen, hier kommt es immer wieder zu Suiziden.
Wie aussagekräftig ist die Datenlage überhaupt?
Die Genauigkeit der Daten zu den Todesfällen durch illegale Drogen ist begrenzt. Das liegt daran, dass die Beurteilung, was genau ein Drogentod ist, immer vor Ort in den Ländern erfolgt. Manchmal wird obduziert, manchmal nicht. Das erschwert eine wissenschaftliche Aussage. Trotz allem bleibt in der Statistik ersichtlich: Haupttodesursachen waren erneut der Missbrauch von Opioiden mit 1194 Fällen, davon 749 mit Heroin und Morphin.
Grundsätzlich gilt, dass validere Daten die Prävention und Suchthilfe passgenauer und zielgerichteter wirken lassen. Mir geht es um das Motto: Je schneller die Sucht behandelt wird, desto besser. Hier steht auch die Politik in Bund und den Ländern in der Pflicht.
Welche Drogen konsumieren junge Menschen hauptsächlich?
Prominenteste Substanzen sind Cannabis, Amphetamin, Ecstasy und Pilze. Aktuellen Schätzungen zufolge sollen etwa 374.000 Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren in den vergangenen zwölf Monaten eine illegale Droge konsumiert haben.
Zur Person
Burkhard Blienert ist seit Januar 2022 Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Von 2013 bis 2017 saß er für die SPD im Bundestag, war Mitglied im Gesundheitsausschuss und Berichterstatter seiner Fraktion für Drogen- und Suchtfragen. Außerdem hat er am Gesetz Cannabis als Medizin mitgewirkt. Das Leitmotiv seiner Arbeit: „Sucht- und Drogenpolitik ist Politik für Menschen, nicht gegen sie. Es muss gelten: Hilfe und Schutz statt Strafe.“
Sie gelten als Verfechter einer progressiven Drogenpolitik – der Bundesgesundheitsminister will den Besitz von 25 Gramm Cannabis und im gewissen Rahmen auch den Eigenanbau legalisieren. Kritiker verweisen auf die gesundheitlichen Folgen des Cannabiskonsums. Was entgegnen Sie?
Ich weise darauf hin, dass Cannabis schon jetzt stark konsumiert wird, auch von Jugendlichen. Und vor allem, dass viele Menschen massive Gesundheitsprobleme gerade deswegen mit Cannabis haben, weil sie auf dem Schwarzmarkt viel zu starkes Zeug kaufen.
Außerdem ist es, solange bei Cannabis immer das Strafrecht winkt, unheimlich schwierig, mit Jugendlichen offen und konstruktiv ins Gespräch zu kommen: Brauchst du das wirklich? Bist du dir der Risiken bewusst?
Das alles zeigt: Eine pauschale Verbotspolitik bei Cannabis funktioniert einfach nicht. Im Gegenteil, an manchen Stellen verschärft sie die Lage sogar. Die klare Botschaft muss sein: Legal heißt nicht, alles ist gesund und gut! Wir dürfen Drogen nicht länger verherrlichen oder verharmlosen. Aber es ergibt auch keinen Sinn, durch wirkungslose Verbote die Risiken des Konsums in die Höhe zu treiben.
Wir brauchen eine andere Perspektive auf Drogen. Seit Jahrzehnten haben wir jetzt erstmals die Möglichkeit, wirklich einen Paradigmenwechsel in der Sucht- und Drogenpolitik in Deutschland zu vollziehen. Ich möchte erreichen, dass Sucht und Drogenkonsum endlich keine Tabuthemen mehr sind, dass wir suchtkranken Menschen helfen und sie nicht mehr in die Isolation treiben und ausgrenzen.
Cannabis wird oft als Einstiegsdroge bezeichnet. Wie schätzen Sie das ein?
Die These, Cannabis sei eine Einstiegsdroge, ist seit vielen Jahren widerlegt und hat keine wissenschaftliche Grundlage. Das größte Problem haben wir in Deutschland nach wie vor mit dem Konsum von Tabak und Alkohol. Wir müssen jede Droge, jeden Konsum davon und den Gesundheits- und Jugendschutz kritisch hinterfragen und entsprechend darauf reagieren, wenn Maßnahmen nicht ausreichen.
Viele junge Menschen probieren Drogen aus Neugierde – wie kommentieren Sie das?
Drogen gehören für mich nicht in die Hände von Kindern oder Jugendlichen. Jede Droge, egal, ob Alkohol, Tabak oder auch Gras und Ecstasy sind immer gesundheitsschädlich. Das gilt im Übrigen auch für die Flasche Bier mit 14 Jahren im Beisein der Eltern. Deswegen will ich auch, dass wir endlich dieses merkwürdige sogenannte „begleitete Trinken“ aus unserem Jugendschutzgesetz streichen.
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Neugier ist wichtig und gut, dadurch lernen Kinder und Jugendliche. Aber Drogen sind nicht das Richtige, um Neugier auszuleben. Die Botschaft lautet deshalb auch in Zukunft: Cannabiskonsum und auch alle anderen Drogen sind für Jugendliche besonders stark gesundheitsgefährdend und bleiben verboten.
Was raten Sie Betroffenen, die selbst oder deren Freunde Drogenprobleme haben?
Sie sollen sich ein Herz und Mut fassen und schnell Hilfe suchen. Denn das erste Gespräch ist bereits ein wichtiger Schritt raus aus problematischem Konsum oder sogar Sucht. Damit Kinder und Jugendliche schnell Hilfe finden können, brauchen wir mehr Präventionsmaßnahmen in Schulen und mehr Geld für die Beratungsstellen in den Kommunen. Eine weitere gute Möglichkeit für erste Informationen sind telefonische Hilfsangebote.
Interview: Christoph Dierking