-
Junge Menschen schauen optimistischer in die Zukunft als ältere – dies ist ein Ergebnis der Trendstudie „Jugend in Deutschland“. Foto: Eliott Reyna/Unsplash
Trendstudie „Jugend in Deutschland“„Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein“
Die gute Nachricht: Das Verhältnis zwischen Jung und Alt ist intakt. Die schlechte: Junge Menschen leiden massiv unter Stress. Kilian Hampel, Co-Autor der Studie, ordnet die Ergebnisse ein.
„Das ist eine long Story“, sagt Kilian Hampel, wenn man ihn fragt, wie er zum Co-Autor der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ wurde.
Die Geschichte beginnt in Kempten im Allgäu, dort ist er aufgewachsen: In der Oberstufe hat er viele Fragen, aber nur wenige Antworten, wie es nach dem Abitur weitergehen soll. Sein Nachbar kann weiterhelfen – und auch der hat Fragen, bei denen wiederum Hampel weiterhilft: Was beschäftigt die Jugend? Welche Perspektiven sind wichtig? Und welche Themen?
Hampels damaliger Nachbar heißt Simon Schnetzer und tourt mit dem Fahrrad durch Deutschland, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Sein Ziel: die Bedürfnisse der Jugend besser verstehen. Zu berichten, was sie bewegt, was ihre Probleme sind und wie sie in die Zukunft blickt. Für sein Engagement hat ihn sogar der Bundespräsident ausgezeichnet. Die Ergebnisse bilden den Prototyp der Trendstudie, die in ihrer heutigen Form seit 2020 erscheint. Damals holte Schnetzer den Jugendforscher Klaus Hurrelmann als Co-Autor mit ins Boot.
Und seit 2022 ist Kilian Hampel der Dritte im Bunde. Der nachbarschaftliche Austausch in seiner Jugendzeit mündete für ihn in ein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft, inzwischen promoviert er an der Universität Konstanz, direkt am Bodensee. „In meiner Forschung dreht sich alles ums Thema Alter beziehungsweise altern, insofern haben sich durchaus inhaltliche Schnittstellen ergeben“, erzählt der 28-Jährige. Durch die Promotion gewinne er spannende Perspektiven, die für die Trendstudie von Bedeutung sind – umgekehrt ist auch die Trendstudie fruchtbar für seine eigene Forschung.
Die aktuelle Ausgabe von „Jugend in Deutschland“ ist im vergangenen Mai erschienen. Im Interview mit #staatklar erläutert Hampel zentrale Forschungsergebnisse – und verrät, welche Schwerpunkte in der nächsten Studie von Bedeutung sein werden.
Bereit für den Ideencampus 2023?
Kilian Hampel ist Speaker auf dem Ideencampus der dbb jugend am Donnerstag, 19. Oktober 2023. Im Fokus steht dieses Jahr die Frage: „Generation Krise – staatklar für die Zukunft?“ Weitere Informationen gibt es auf der Website der dbb jugend, die Anmeldung erfolgt online.
#staatklar: Herr Hampel, eine so umfassende Studie fördert umfassende Ergebnisse zutage. Was hat Sie am meisten überrascht?
Kilian Hampel: Die Befragungen haben stattgefunden, als die Pandemie und der Winter vorbei waren. Deshalb hat es uns überrascht, dass junge Menschen immer noch sehr stark gebeutelt sind. 46 Prozent der 14- bis 29-Jährigen leiden unter Stress, noch einmal fünf Prozent mehr als in der vorherigen Studie vom November 2022. Und 6 Prozent äußerten, dass sie Suizidgedanken haben – dieser Wert ist zwar etwas gesunken, aber immer noch zu hoch.
Wie kommt das?
Wir erklären uns das mit dem Dauerkrisenmodus, in dem sich junge Menschen befinden: Die Klimakrise ist ein großer Sorgentreiber. Außerdem sehen wir noch die Nachwirkungen der Pandemie, in der sich die Jugend eingeschränkt hat, um Mitmenschen zu schützen. Bemerkenswert auch: 63 Prozent der Befragten gaben an, dass die Inflation, ein Resultat des Ukraine-Kriegs, große Sorgen bereitet. Wir sehen vor allem auch die finanzielle Situation als Ursache dafür, dass Stress und psychische Belastungen zugenommen haben.
Was folgt daraus? Wie können Politik und Gesellschaft gegensteuern, damit das Ergebnis beim nächsten Mal möglicherweise wieder besser ausfällt?
Im Prinzip gibt es zwei Herangehensweisen: Wir müssen die akuten Symptome lindern. Das lässt sich erreichen, indem wir die Beratungsangebote in Schulen, Universitäten und Unternehmen ausbauen. Und dann ist es entscheidend, für mehr finanzielle Sicherheit zu sorgen. 19 Prozent der jungen Menschen haben angegeben, von Armut bedroht zu sein. Nur 11 Prozent glauben, dass sie im Alter von der gesetzlichen Rente gut leben können. Die Angst vor Armut ist ein großer Stressfaktor. Hier ist die Politik gefordert.
Sie haben erstmals auch andere Altersgruppen befragt: 30- bis 49-Jährige sowie 50- bis 69-Jährige. Warum?
Der Kerngedanke war, den medial beschworenen Generationenkonflikt stärker auszuleuchten. Auf der einen Seite die Boomer, auf der anderen Seite die Gen Z, die sich grundlegend unterscheiden – so wird es oft dargestellt.
Unsere Ergebnisse zeigen hingegen: Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein. Jung und Alt ticken gar nicht so verschieden. Hohe Übereinstimmungen gibt es bei den Werten, etwa Freiheit, Gerechtigkeit, Vertrauen und Solidarität. Auch die Tugenden Hilfsbereitschaft, Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit sind allen Generationen wichtig. Nicht zuletzt teilen alle ähnliche Sorgen, insbesondere wegen der zunehmenden Inflation und drohenden Altersarmut.
Aber Nuancen gibt es doch sicher, oder?
Die gibt es natürlich immer, aber sie lassen eben nicht den Schluss zu, dass das Verhältnis zwischen den Generationen zerrüttet ist. Zunächst ist es so, dass die älteren Befragten deutlich pessimistischer in die Zukunft schauen. Die Erklärung: Menschen werden mit zunehmenden Alter abgeklärter. Wer wenig erwartet, fällt im Extremfall weniger tief.
Außerdem haben wir – das ist wenig überraschend – Unterschiede in der Affinität zum Digitalen festgestellt. Aber: Die ältere Generation sperrt sich keineswegs komplett gegen den technischen Fortschritt. Sie ist durchaus digital unterwegs, nutzt aber deutlich weniger Kanäle als die Jugend, die tendenziell die gesamte Bandbreite der verfügbaren Plattformen bespielt.
Menschen werden mit zunehmenden Alter abgeklärter. Wer wenig erwartet, fällt im Extremfall weniger tief.
Kilian Hampel
Auffällig ist auch, dass 23 Prozent der 50- bis 69-Jährigen die Demokratie als besonders wichtigen Wert angegeben haben. Bei der Jugend sind es 13, bei den 30- bis 49-Jährigen 14 Prozent. Dieses Phänomen erklären wir uns damit, dass bei der ältesten Befragten-Generation die unmittelbaren Erfahrungen aus DDR und Nationalsozialismus noch präsenter sind. Junge Menschen halten die Demokratie eher für gegeben. Sie sehen sie als selbstverständlich an, weshalb sie als Wert nicht so präsent ist.
Unterschiede ergeben sich auch in Hinblick auf den Arbeitsmarkt. „New Work“ ist ein Stichwort unserer Zeit. Wie können Arbeitgeber junge Menschen für sich gewinnen?
Ganz oben steht, wie übrigens bei allen Altersgruppen, die Bezahlung. Wer als attraktiver Arbeitgeber gelten möchte, muss der jungen Generation darüber hinaus ermöglichen, ihre Leidenschaften auszuleben und ihre Ziele zu erreichen – denn dies spielt für sie eine größere Rolle als für ältere Generationen. Sie erwartet, dass Führungskräfte ihnen Weiterentwicklung bieten, dass es möglich ist, die eigene Meinung gleichberechtigt einzubringen. Flache Hierarchien sind gewünscht. Da muss man sich schon fragen, inwieweit die aktuellen Strukturen zu festgefahren sind. Flexibilität, Work-Life-Balance und Homeoffice sind in diesem Zusammenhang wichtige Stichworte.
Entscheidend auch: Die Jugend sieht Jobs deutlich unkomplizierter. Wenn es nicht passt, dann wechselt man eben, während die ältere Generation Arbeitgebern eher treu bleibt.
Blicken wir hinter die Kulissen der Studie: Wie schaffen Sie es, am Puls der Jugend zu bleiben?
Hierfür haben wir verschiedene Ansätze. Zum einen arbeiten wir mit sogenannten Trendscouts zusammen, das sind Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende. Mit ihnen sprechen wir, bevor wir den Fragebogen erstellen. Und auch nach der Studie setzen wir uns mit ihnen zusammen und besprechen die Ergebnisse.
Mehr entdecken: Wie sich der Staat auf die Krisen der Gegenwart einstellt
Zum anderen führen wir die von Simon Schnetzer ins Leben gerufenen „Zukunftsgestalter-Workshops“ an Schulen und Unternehmen durch, in denen wir gemeinsam mit jungen Menschen auf ihre Herausforderungen und Lösungsansätze für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft blicken. Aber auch sonst stehen wir in engem Austausch mit diversen Unternehmen und Organisationen, darunter Parteien, politische Stiftungen und den Kirchen. Kurzum: mit allen, die mit jungen Menschen zu tun haben.
Was sind die Herausforderungen bei der Erstellung des Fragebogens?
Das ist tatsächlich etwas, wo wir uns sehr viele Gedanken machen. Die Fragen müssen neutral formuliert sein, damit wir den Studienteilnehmenden nicht ungewollt Antworten in den Mund legen. Sie müssen sich am Zeitgeschehen orientieren, dürfen aber nicht zu stark von vorherigen Studien abweichen, damit die Vergleichbarkeit weiterhin gegeben ist. Und insgesamt darf der Fragebogen nicht zu lang sein – sonst besteht die Gefahr, dass die Teilnehmenden unkonzentriert werden.
Sie haben pro Altersgruppe etwa 1.000 Menschen befragt. Woher bekommen Sie die Testpanels?
Diese stellen uns professionelle Institute zur Verfügung, das muss man sich wie eine große Kartei vorstellen. Wichtig ist, dass die Quoten stimmen, also die Vielfalt des Panels, die sich unter anderem nach Geschlecht, Bildungsstatus, Alter, Beruf und Wohnort gliedert. Wir wollen den Querschnitt der Gesellschaft abbilden, die Ergebnisse sollen schließlich für ganz Deutschland stehen.
Nach der Studie ist vor der Studie: Können Sie schon einen Ausblick auf die kommende Studie geben?
Die aktuelle Studie war so umfassend, dass wir die volle Bandbreite der Ergebnisse noch gar nicht richtig ausspielen konnten. Deshalb haben wir entschieden, dass die Trendstudie künftig nicht mehr halbjährlich, sondern jährlich erscheint.
Die nächste Studie wird auch wieder eine reine Jugendstudie, der Generationenvergleich entfällt. Ein Fokus wird sein, noch mehr Erkenntnisse zu den Ursachen der alarmierenden Ergebnisse zu finden. Was stresst junge Menschen genau? Und welche Unterstützung wünschen sie sich? Hier tauchen wir in den kommenden Wochen noch viel tiefer ein und versuchen, auf diese und viele weitere Fragen fundierte Antworten zu liefern.
Interview: Christoph Dierking