Anzeige

Start ins neue Jahr„Nach 66 Tagen werden die guten Vorsätze zur Routine“

Gesünder essen? Mehr Sport treiben? Weniger Stress? Corinna Slawitschka, Gründerin der Beratungsagentur „Rethink work“ in Bonn, erklärt, wie sich gute Neujahrsvorsätze verwirklichen lassen.

„Für Eile habe ich keine Zeit“ – so lautet Corinna Slawitschkas Glaubenssatz für 2025. Sie hat ihn bereits auf einen Klebezettel geschrieben und im Büro am Computerbildschirm befestigt. „Es wird garantiert so sein, dass ich mich hin und wieder ertappt fühle, wenn ich den Zettel sehe“, sagt sie und lacht. „Aber es hilft total, wenn man sich selbst anstupst und einen spielerischen Zugang zu den Dingen findet, die man verändern möchte.“

Veränderungen umsetzen, Dinge anders, aber vor allem besser machen: Das nehmen sich viele Menschen für 2025 vor. Das neue Jahr ist ein unbeschriebenes Blatt, eine neue Zeit, die sich formen und gestalten lässt. Zumindest ist diese Wahrnehmung verbreitet. Im Gespräch mit #staatklar gibt die Expertin von „Rethink work“ Tipps, damit der Veränderungswille nicht zur Hängepartie wird.

#staatklar: Frau Slawitschka, eigentlich sind Neujahrsvorsätze doch eine Form von Aufschieberitis. Wer Veränderungen umsetzen möchte, kann das doch das ganze Jahr über machen. Oder?

Corinna Slawitschka: Ich glaube schon, dass dem Jahreswechsel eine besondere Symbolik innewohnt. Weil er nicht nur Einzelpersonen betrifft, sondern uns alle. Das erzeugt einen Kollektivmoment. Die Menschen tauschen sich über ihre Pläne aus und es entsteht eine Situation, in der sie einander bestärken können.

Davon abgesehen: Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Im stressigen Alltag, der oftmals vollkommen überfrachtet ist, kommen die meisten gar nicht mehr dazu, über Dinge zu reflektieren, die sie in ihrem Leben verändern möchten. Es sei denn, sie müssen sich einer Krise stellen. Bei Krankheit, wenn die Beziehung zerbricht, bei Jobverlust. Dann zwingen die Umstände uns, Veränderungen anzupacken.

Nach der Weihnachtszeit kehrt für ein paar Tage Ruhe ein, im Optimalfall schon in der Weihnachtszeit selbst. Deshalb ist der Jahreswechsel aus meiner Sicht ebenfalls ein Anlass, die eigene Situation zu reflektieren. Und zwar ein milder und schöner, der nicht mit irgendwelchen Krisen zusammenhängt.

Allerdings mündet das Umsetzen der Vorsätze mitunter in Krisen. In der Kneipe lockt ein leckeres Bier. Das Sofa wirkt sympathischer als die Laufschuhe. Und möglicherweise beendet eine Currywurst den Veganuary vorzeitig. Warum tun wir uns so schwer?

Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen sich unrealistische Ziele setzen, am Anfang zu radikal und ehrgeizig sind. Wer gerne trinkt und Süßes isst, wird kaum von einem Tag auf den nächsten beides sein lassen.

Ganz entscheidend ist der emotionale Bezug. Was ich verändern möchte, muss ich zu 100 Prozent fühlen. Dabei hilft es, die Ziele positiv zu formulieren, als sogenannte Hin-zu-Ziele. So entsteht eine Vision, dann macht es gleich viel mehr Spaß. Nicht: „Ich muss dieses oder jenes …“ Sondern als Identitätsziel formuliert: „Ich bin jemand, der gesund lebt und klar sein möchte.“

Also kein kalter Entzug, sondern emotionaler Bezug.

Absolut! Der lässt sich Schritt für Schritt herstellen, mit ihm werden Ziele realistisch. Statt sich vorzunehmen, ganz auf Wein zu verzichten, kann es Sinn ergeben, sich auf ein Glas am Wochenende zu beschränken. Und klar ist auch: Wer es im Januar schafft, viermal ins Fitnessstudio zu gehen und das ganze Jahr zuvor nie dort war, hat bereits sehr viel erreicht.

Wir dürfen die kleinen Fortschritte nicht aus den Augen verlieren. Denn sie tragen dazu bei, neue Verhaltensweisen in der eigenen Identität zu verankern. Das ist für nachhaltige Veränderungen von zentraler Bedeutung.

Mit der Routine sinkt der Anreiz, in alte Muster zurückzufallen.

Corinna Slawitschka

In der Businesswelt hat sich das Formulieren von SMARTen Zielen etabliert. SMART steht für: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert. Sind derartige Modelle sinnvoll, wenn es um gute Vorsätze geht?

Bedingt, weil viele Menschen es sicher ablehnen, ihr Privatleben an Business-Modellen auszurichten. Sinnvoll ist jedoch, sich hinzusetzen und seine Ziele zu formulieren. Spezifisch sollten sie schon sein, das erleichtert die Umsetzung. Wenn ich mir einfach nur vornehme, weniger Zeit im Internet zu verbringen, dann ist das sehr unkonkret. In diesem Fall wäre es zielführender, sich ein konkretes Zeitlimit zu setzen.

Was die Planung der eigenen Vorsätze betrifft: Es hilft enorm, die Frage nach dem Warum zu beantworten. Das bringt Klarheit. Warum möchte ich etwas ändern? Welches meiner Bedürfnisse kommt gerade zu kurz? Wenn ich weiß, warum ich etwas mache und mir meine Ziele vor Augen führe, ist es wahrscheinlicher, dass ich sie erreiche.

Und dann geht es an die Umsetzung.

Genau. In der Praxis mache ich sehr gute Erfahrungen mit sogenannten Vision-Boards. Dabei geht es darum, Motive auszuwählen, die eigene Veränderungswünsche und die damit verbundenen Gefühle repräsentieren. Das können Fotos sein, aber auch Malereien. Entscheidend ist: Welches Gefühl möchte ich in mir tragen, wenn ich mein Ziel erreicht habe?

Ich habe immer ein kleines Vision-Board im Portemonnaie. Wenn ich irgendwo sitze und warte, hole ich es heraus und vergegenwärtige mir meine Ziele. Sicher ist das Geschmackssache, aber mir bringt es sehr viel, wenn ich möglichst oft das Gefühl in mir aufnehme, das ich erreichen möchte.

Darin steckt sicher auch eine Form des Trainings. Neue Gewohnheiten muss man trainieren wie einen Muskel. Welche Rolle spielt dabei die Reflexion?

Eine sehr große, ohne Gedankenhygiene geht es nicht. Zum Beispiel in Form eines Verhalten-Tagebuchs. Es geht darum, sich bewusst zu machen, in welchen Situationen man von seinen Zielen abweicht und in alte Muster verfällt. Hat der Chef einen angepflaumt? Musste man unter Zeitdruck Aufgaben erledigen?

Ursachen, die alte Muster aktivieren, sind sehr individuell. Und auch die Muster selbst unterscheiden sich von Person zu Person. Die eine bestellt sich nach einem schlimmen Tag eine fettige Pizza. Der nächste geht exzessiv shoppen. Und die nächste wiederum versinkt in den sozialen Medien. Egal, wie sich problematische Muster äußern: Es geht darum, sich eine künstliche Dopamin-Dröhnung zu verpassen, um negative Erlebnisse zu kompensieren.

Wer erkennt, in welchen Situationen die Verlockung überhandnimmt, kann bewusst gegensteuern und stattdessen positive Verhaltensweisen einüben. Heißt: Spaziergang statt Pizza. Freunde treffen statt Shopping. Sport statt Social Media.

Gibt es noch weitere Notfallstrategien, um Rückschläge zu vermeiden?

Mir ist wichtig: Rückschläge gehören dazu, das müssen wir akzeptieren. Und das ist auch gar nicht schlimm. Ich plädiere sogar dafür, das Scheitern bewusst einzuplanen.

Das müssen Sie erklären!

Fasziniert hat mich die Zwei-Tages-Regel nach Matt D’Avella. Sie besagt: Macht Euch keinen Stress! Pro Woche könnt Ihr zwei Tage aussetzen und dann nehmt Ihr wieder Fahrt auf. Das Konzept nimmt enorm viel Druck heraus und hilft, nicht sofort die Flinte ins Korn zu werfen, wenn es mit den Neujahrsvorsätzen mal nicht klappt. Es bietet den Raum, neue Verhaltensweisen Schritt für Schritt einzuüben.

Im Prinzip stecken dahinter geplante Cheat-Days. Wichtig ist aus meiner Sicht, diese – so gut es eben geht – bewusst zu planen. Wer das Thema Alkoholkonsum auf der Agenda hat, könnte sagen: Samstag verabrede ich mich mit Freunden im Restaurant. Ich kommuniziere klar, dass ich ein Bier mittrinke, es genieße und dabei bleibt es dann.

Ein positiver Effekt: Zu sagen, dass man gar nichts trinkt, führt in der Praxis viel eher dazu, dass das Umfeld zum Mittrinken animiert. Radikalität schreckt ab, Menschen reagieren empfindlich auf Extreme.

Mitunter verfallen Menschen regelrecht in einen Optimierungswahn. Wo verläuft aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen gesunden Veränderungen und krankhaften Zwängen?

Kritisch wird es, wenn sich das Gefühl einstellt, nicht mehr gut genug zu sein. Es gibt eben Kreise, wo Menschen morgens Sport machen, dann zwölf Stunden arbeiten und ganz nebenbei die perfekten Eltern sind. Wer sich in einem solch leistungsorientierten Umfeld bewegt, sollte sich fragen: Macht mich das wirklich glücklich?

Mehr entdecken: Resilienz trainieren heißt, die Komfortzone zu verlassen

Ein Alarmsignal ist auch, wenn man Dinge nicht mehr genießen kann. Zu viel Druck und Perfektionismus schmälern die Lebensfreude. Wenn ich das Bedürfnis verspüre, bei einem Teller Reis mit gedünstetem Gemüse die Kalorien zu zählen, nimmt die Optimierung problematische Züge an. Da geht auch der positive Bezug verloren.

Nehmen wir an, jemand hat sein Ziel erreicht. Wie kann es gelingen, den Effekt zu konservieren?

Das Schöne ist: Wer konsequent an sich gearbeitet hat, muss sich darüber im Idealfall keine Gedanken mehr machen!

Nach 66 Tagen werden die guten Vorsätze zur Routine, dann haben sich bei den meisten Menschen im Gehirn Verknüpfungen gebildet. Es sind sozusagen neue Pfade entstanden. Sie zu beschreiten, kostet mit der Zeit immer weniger Energie, es fällt immer leichter. Wenn ich regelmäßig trainiere, ruft der Körper ab einem gewissen Punkt nach Bewegung. Und wenn ich regelmäßig gesund esse, bereitet mir ungesundes Essen Bauchschmerzen, weil ich es nicht mehr gewohnt bin. Mit der Routine sinkt der Anreiz, in alte Muster zurückzufallen.

In meinem Fall ist es so, dass ich mich intensiv mit dem Thema Dankbarkeit beschäftigt habe. Ich habe abends darüber reflektiert, worüber ich dankbar bin. Inzwischen ist es ein Teil meines Seins. Wenn mir jemand etwas Gutes tut, freue ich mich sehr bewusst im Moment und muss es mir abends nicht mehr zusätzlich vergegenwärtigen.

Interview: Christoph Dierking

zurück