Bei der Polizei, im Justizvollzug, in Behörden: Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind vor allem in der Eingriffsverwaltung mit Beleidigungen konfrontiert. Ein Rechtsanwalt beantwortet die wichtigsten Fragen.
2. Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich eine Beleidigung anzeigen möchte?
3. Ist es möglich, dass die Gegenseite meinen Namen und meine Adresse erfährt?
4. Welche Strafen sind möglich?
5. Kann ich Schmerzensgeld bekommen?
6. Wie blickt die dbb jugend auf das Thema?
„Die Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch die Kundgabe eigener Missachtung oder Nichtachtung“ – so lautet zumindest eine Definition aus längst vergangenen Zeiten, die allerdings noch immer verbreitet ist. „Wenn ich das als Grundlage nehme, müsste ich mich ständig beleidigt fühlen“, sagt Kai Naumann, Jurist beim dbb beamtenbund und tarifunion. „Es steckt noch mehr dahinter.“
Das Grundgesetz garantiert Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1), schränkt diese jedoch unter anderem durch das Recht der persönlichen Ehre ein (Art. 5 Abs. 2).
Heißt: „Wenn mir jemand sagt, dass er mich für keinen guten Juristen hält, kann ich mich zwar darüber ärgern, aber rechtlich nichts dagegen unternehmen“, erklärt Naumann. „Anders verhält es sich, wenn jemand herumerzählt, ich sei der dümmste und schlechteste Jurist aller Zeiten“ – denn diese Aussage geht über eine sachliche Kritik hinaus und ist damit von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt.
In Hinblick auf den öffentlichen Dienst spielt es eine Rolle, dass das Grundgesetz vom „Recht der persönlichen Ehre“ spricht. „Nicht von der Ehre eines Berufsstandes oder der Ehre des öffentlichen Dienstes“, betont der Jurist. In der Praxis bedeutet das: Ein Gericht muss im Einzelfall prüfen, ob sich eine Beleidigung gegen die Einzelperson richtet – oder allgemein der Staat, der öffentlichen Dienst oder der Berufsstand angegriffen wird.
Grundsätzlich gehört die Beleidigung zu den Ehrdelikten. Das gilt auch für die Verleumdung und üble Nachrede. Eine Verleumdung liegt vor, wenn eine Behauptung nachweisbar falsch ist. Und eine üble Nachrede, wenn jemand ehrverletzende Aussagen verbreitet, bei denen nicht eindeutig klar ist, ob sie stimmen oder nicht. Ein Beispiel: „Man darf nicht einfach in der Öffentlichkeit behaupten, dass jemand seine Frau schlägt, nur weil es sein könnte“, sagt Naumann. Anders verhalte es sich, wenn jemand zur Polizei geht, weil er einen konkreten Verdacht hegt – dann bestünde nämlich ein berechtigtes Interesse.
Wer strafrechtlich gegen eine Beleidigung vorgehen möchte, muss wissen: Es handelt sich um ein sogenanntes Antragsdelikt. Das bedeutet: Ohne Strafantrag passiert nichts. „Das ist eine sinnvolle Regelung“, sagt Naumann. „Denn wie eine Beleidigung empfunden wird, ist sehr subjektiv“ – theoretisch könnte es auch sein, dass Betroffene gar kein öffentliches Verfahren wollen und ihre Ehre besser geschützt sehen, indem sie direkt Widerworte geben oder den Fall auf sich beruhen lassen. Für andere Delikte greift in Deutschland das Offizialprinzip. Dieses besagt: Die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen, sobald der Verdacht einer Straftat besteht.
Wichtig: Die Antragsfrist beträgt drei Monate.
Im öffentlichen Dienst ist es möglich, dass der Vorgesetzte bei der Beleidigung eines Amtsträgers den Strafantrag stellt. Dies sollte natürlich nur in enger Abstimmung mit dem Geschädigten erfolgen. „Ich halte das für den sinnvollen Weg, weil dann die Aussicht auf Erfolg größer ist“, unterstreicht der Jurist. Beispiel: Wahrscheinlich würde die Staatsanwaltschaft dem Strafantrag eines Behördenleiters, der sich vor seine Beschäftigten stellt, eher stattgeben als dem Strafantrag des Betroffenen. Denn eine Rolle spielt, ob über den Einzelfall hinaus ein Interesse besteht, die Beleidigung zu verfolgen. Aus Sicht des Behördenleiters kann das durchaus gegeben sein – „schließlich kann er nicht erwarten, dass seine Leute gute Arbeit machen, wenn sie ständig beleidigt werden.“
Gut zu wissen: Wenn die Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse an der Verfolgung sieht, erhält der Kläger beziehungsweise die Klägerin ein Schreiben, in dem auf den Weg der Privatklage verwiesen wird. Naumann: „Damit ist nicht das Zivilrecht gemeint, sondern die Option, selbst vor das Strafgericht zu treten und Anklage zu erheben, sozusagen als Staatsanwalt. Mir ist allerdings kein Fall bekannt, in dem jemand diesen Weg genutzt hat.“
Mich schockiert es immer wieder, was Beschäftigte im öffentlichen Dienst über sich ergehen lassen müssen, nur weil sie ihren Job machen.
Daria Abramov, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend
„Um die Nennung des Namens kommt niemand herum“, stellt Kai Naumann klar. In Hinblick auf die Adresse gebe es Möglichkeiten, diese herauszuhalten – beispielsweise lässt sich die Dienststelle als ladungsfähige Anschrift angeben. „Das funktioniert meistens, aber eine endgültige Garantie, dass die Privatadresse nicht doch abgefragt wird und in der Akte landet, gibt es nicht.“
In einem zivilrechtlichen Verfahren geht es oftmals nicht ohne Nennung der Adresse. Das hat unter anderem praktische Gründe: Angenommen jemand erhebt Zivilklage, verliert den Prozess und muss entsprechend die Verfahrenskosten tragen – dann müsste die Seite des Beklagten wissen, wo sie ihr Geld einfordern kann.
Im Strafgesetzbuch heißt es:
Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 185 StGB)
„Wenn eine Täterin oder ein Täter nicht vorbestraft ist, dann ist die Strafe im unteren Drittel des Strafrahmens zu suchen“, kommentiert Naumann. Dies sei zumindest eine gängige Faustregel. Entsprechend wäre bei diesem Szenario mit einer Geldstrafe von höchstens 120 Tagessätzen zu rechnen.
Zivilgerichte können wegen einer Beleidigung ein Schmerzensgeld zusprechen – allerdings nur, wenn sie ein hohes Gewicht hat und eine nicht unerhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt. „Eine Rolle spielt vor allem, in welchem Umfang die Beleidigung verbreitet wurde“, erklärt Rechtsanwalt Naumann. „Stand sie öffentlich in den sozialen Medien oder haben nur zwei Unbeteiligte, die den Betroffenen nicht einmal kennen, etwas mitbekommen?“
Fakt ist: Für die üblichen Beleidigungen gibt es laut aktueller Rechtsprechung im Regelfall kein Schmerzensgeld. „Das gilt für alle“, sagt Naumann. „Für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, aber auch für alle Bürgerinnen und Bürger, die von ihrem Nachbarn beleidigt wurden.“
„Mich schockiert es immer wieder, was Beschäftigte im öffentlichen Dienst über sich ergehen lassen müssen, nur weil sie ihren Job machen“, sagt Daria Abramov, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend. „Und ihren Job machen sie im Sinne der Allgemeinheit. Nicht zuletzt deshalb haben sie Respekt verdient.“
Abramov verweist auf eine Studie der Universität Speyer, die zu dem Ergebnis kommt, dass jede vierte Person im öffentlichen Dienst bereits Opfer von Gewalt geworden ist. „Beleidigungen sind eine Vorstufe von Gewalt, die wir nicht hinnehmen dürfen!“
Es ist wichtig, dass wir alle Führungskräfte für das Thema sensibilisieren.
Iris Bilek, Sprecherin der AG Sicherheit der dbb jugend
„Als Dienstherr und Arbeitgeber muss der Staat seinen Beschäftigten den Rücken stärken“, sagt Iris Bilek, Sprecherin der AG Sicherheit der dbb jugend. „Wenn jemand im Dienst oder bei der Arbeit beleidigt wird, müssen Vorgesetzte das ernst nehmen und auf Wunsch Strafantrag stellen“ – das funktioniere in vielen Fällen bereits gut, aber längst nicht überall. Bilek: „Es ist wichtig, dass wir alle Führungskräfte für das Thema sensibilisieren. Niemand muss sich beleidigen lassen!“
Mehr entdecken: Verbeamtung und Depression? Eine Expertin gibt Antworten
Aus Sicht der AG Sicherheit sind diese beiden Punkte von zentraler Bedeutung:
„In Deutschland entscheiden die Gerichte, das ist auch gut so und zu akzeptieren“, unterstreicht Philipp Weimann, der sich ebenfalls in der AG Sicherheit engagiert. „Nur die Realität ist eben auch: Es ist extrem frustrierend, wenn Strafverfahren eingestellt werden. Das passiert leider sehr oft. Beleidigungen kratzen an der Psyche, die Betroffenen fühlen sich im Stich gelassen und stumpfen ab. Und die präventive Wirkung eines Richterspruchs kommt uns vollkommen abhanden, wenn nichts passiert.“
Text: Christoph Dierking
Wenn „Arschloch“ und „Wichser“ nicht mehr stören – Erfahrungen aus der Praxis
Klar, im Polizeidienst gehört es irgendwie zur Jobbeschreibung, dass es auch mal rauer zugeht. Auf Demonstrationen sind Beleidigungen gegen den Staat und die Polizei als Repräsentant des Staates Normalität. „ACAB“, „ihr seid doch nur gut bezahlte Hooligans“, „Drecksbullen“ – derartiges bekommt man aus dem schwarzen Block oft zu hören. Für mich verläuft die Grenze dort, wo es persönlich wird. Wenn der Mittelfinger gegen meine Person geht. Wenn jemand mich anschaut und sagt: „Ich ficke deine Mutter.“ Ein Kollege musste sich als „blondes Nazischwein“ bezeichnen lassen. In meinen Augen eine klare Grenzüberschreitung. Iris Bilek, Polizistin
Bei uns in der JVA kommt die Nazikeule ständig. Die Inhaftierten sagen: „Du Nazi, das machst du nur, weil ich Ausländer bin!“ Das geht mir schon nah, denn ein Nazi bin ich definitiv nicht. Oft hagelt es auch Bedrohungen: „Warte bloß ab, wenn wir uns mal draußen treffen …“ Wer sich das jeden Tag anhören muss, stumpft ab. „Schwuchtel“, „Arschloch“ und „Wichser“ stören mich inzwischen nicht mehr. Ich kann jeden verstehen, der das anders sieht. Bei uns in Baden-Württemberg ist es seit dem 1. Januar 2024 Standard, dass alle Kolleginnen und Kollegen darauf hingewiesen werden, dass sie Strafantrag stellen können – ein großer Fortschritt! Philipp Weimann, Justizvollzugsbeamter