• Zukunftsforscher Daniel Dettling spricht im Interview über Digitalisierung, Fachkräftemangel und Krisen, darunter Pandemie und Ukraine-Krieg.
    Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und arbeitet für das Zukunftsinstitut, ein Thinktank mit Hauptsitz in Frankfurt am Main. Foto: Laurence Chaperon

Zukunftsforscher über Jugend

Dettling: „Keine Generation Krise, sondern Generation Chance“

Junge Menschen können Wohlstand neu definieren, sagt Zukunftsforscher Daniel Dettling. Und auch der Staat habe seine beste Zukunft noch vor sich, wenn er seine Potenziale nutzt.

Ereignisse bewerten, die noch gar nicht stattgefunden haben – das ist der Job von Daniel Dettling. Der Wissenschaftler arbeitet für das Zukunftsinstitut, ein Thinktank und Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt am Main. Außerdem ist er Gründer des Instituts für Zukunftspolitik, das sich auf politische Analyse und Kommunikation konzentriert.

Neugierig sein, mit frischen Ideen an Themen herangehen, interdisziplinär arbeiten – diese Eigenschaften sind laut Dettling für die Zukunftsforschung von zentraler Bedeutung. Der studierte Jurist und Politikwissenschaftler hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt im Jahr 2021 den Titel „Eine bessere Zukunft ist möglich“. Im Gespräch mit #staatklar schildert er, wie die Gesellschaft von Krisen und der Staat von Zukunftsforschung profitieren können.

Bereit für den Ideencampus 2023?

Daniel Dettling ist Speaker auf dem Ideencampus der dbb jugend am Donnerstag, 19. Oktober 2023. Im Fokus steht dieses Jahr die Frage: „Generation Krise – staatklar für die Zukunft?“ Weitere Informationen gibt es auf der Website der dbb jugend, die Anmeldung erfolgt online.

#staatklar: Herr Dettling, in Ihrem jüngsten Buch stellen Sie eine Wette auf. Sie wetten, dass die Menschen den Hunger bis zum Jahr 2050 besiegt, die Armut weitgehend reduziert und den Klimawandel beherrschbar gemacht haben. Und, dass die Welt sicherer, freier und demokratischer ist. Aktuell wüten Naturkatastrophen und Wetterextreme, darüber hinaus tobt der Ukraine-Krieg. Sind Sie sich Ihrer Wette noch sicher?

Daniel Dettling: Die Krisen der Gegenwart sind besorgniserregend, keine Frage. Aber die Botschaft, die ich mit der Wette vermitteln möchte, gilt nach wie vor: Eine bessere Zukunft ist möglich! Wir müssen allerdings mehr dafür tun, mutig sein, neue Perspektiven einnehmen und Krisen von mehreren Seiten betrachten.

Zerstörung, Angst, Flucht – das ist eine Perspektive auf den Ukraine-Krieg. Was ist die andere?

Der Krieg wird zu den letzten gehören, in dem fossile Energien eine tragende Rolle spielen. Die russische Regierung wollte auf der Grundlage von Erdgas, Öl und Kohle ihren Einfluss geltend machen und ausbauen. Doch diese Rechnung ist nicht aufgegangen, ganz im Gegenteil. Deutschland und Europa werden wegen des Krieges schneller von fossilen Energieträgern unabhängig sein. Energiewende und Klimaneutralität werden schneller kommen als es vor wenigen Jahren noch wahrscheinlich war. Im Übrigen hat auch die Corona-Pandemie vieles beschleunigt: Mobiles Arbeiten ist inzwischen Mainstream, Arztpraxen bieten Video-Sprechstunden an und digitales Lernen bekommt in den Schulen mehr Aufmerksamkeit.

Krisen sind also in der Lage, Fortschritt und Modernisierung zu beschleunigen.

Genau, und das müssen wir uns stärker vor Augen führen. Das chinesische Schriftzeichen für „Krise“ ist doppeldeutig: Man kann es negativ lesen im Sinne von „Krise“, aber eben auch positiv im Sinne von „Chance“. Winston Churchill sagte einmal „never waste a good crisis“ – „verschwende keine gute Krise“. Auch an dieser Aussage ist etwas dran. In jeder Krise steckt auch etwas Gutes. Vor allem die Chance, gestärkt aus ihr hervorzugehen.

Blicken wir auf die Zukunftsforschung: Zentral für Ihre Arbeit sind sogenannte Megatrends. Was hat es damit auf sich?

Mit den Megatrends analysieren wir, welche Entwicklungen die Zukunft prägen werden. Sie offenbaren Fragen, die für Gesellschaft, Unternehmen und Staat von Bedeutung sind. Im Zukunftsinstitut arbeiten wir mit zwölf Megatrends, die wir auf einer Karte zusammengestellt haben. Sie definieren sich durch folgende Gemeinsamkeiten: Es handelt sich um Trends, die mindestens 30 bis 50 Jahre – wenn nicht sogar noch länger – andauern und sich damit von kurzfristigen Hypes und Modeerscheinungen abgrenzen. Alle haben eine globale Dimension, sie betreffen die ganze Welt. Darüber hinaus gibt es noch eine ubiquitäre Dimension. Das bedeutet: Megatrends betreffen sämtliche Lebensbereiche, also Gesellschaft, Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

Zwei Beispiele für Megatrends sind „Konnektivität“ und „New-Work“. Was charakterisiert sie?

Konnektivität bezeichnet die Vernetzung sämtlicher Lebensbereiche, unter anderem durch Digitalisierung. Und hinter „New-Work“ verbirgt sich die Transformation der Arbeitswelt. Wie stellen wir uns Arbeit in Zukunft vor? Wie wollen wir arbeiten? Was wollen wir als Arbeit definieren? Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass sich die beiden Megatrends überschneiden – denn die Digitalisierung spielt bei der Transformation der Arbeitswelt eine tragende Rolle.

Der Fachkräftemangel ist für den Staat ein zentrales Zukunftsthema. Wie kann die Politik aus dem Megatrend „New Work“ Maßnahmen ableiten, um gegenzusteuern?

Indem sie erkennt, was potenzielle Fachkräfte für Bedürfnisse haben und die Arbeitsbedingen anpasst. Das umfasst viele Aspekte: Über die Möglichkeit, im Homeoffice oder mobil zu arbeiten, haben wir in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie schon gesprochen. Weiterbildung ist ebenfalls ein entscheidendes Thema. Der Megatrend zeigt, dass die Fachkräfte von heute nicht mehr über Jahrzehnte in derselben Funktion arbeiten wollen, sie sehnen sich nach Abwechslung und persönlicher Weiterentwicklung. Der öffentliche Dienst bietet da viele Möglichkeiten, über die wir allerdings mehr sprechen sollten, um sie bekannter zu machen.

Nicht zuletzt ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiges Zukunftsthema. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen sich um ihre Kinder kümmern, viele haben auch pflegebedürftige Eltern. Hier kann der Staat als Arbeitgeber intelligente Lösungen entwickeln, über Teilzeitregelungen, Auszeiten und Arbeitszeitkonten. Auch in diesen Bereichen passiert bereits sehr viel. Mein Eindruck ist: Der öffentliche Dienst ist oft flexibler als die freie Wirtschaft. Er sollte noch stärker in die Offensive gehen und Trendsetter sein. Dann hat der Staat seine beste Zukunft noch vor sich.

Großer Nachholbedarf besteht in Sachen Konnektivität und Digitalisierung. Worauf kommt es jetzt an?

Automatisierung und Künstliche Intelligenz sind wichtige Stichworte. Denn wegen des demografischen Wandels müssen wir die Fachkräfte, die zur Verfügung stehen, effizienter einsetzen. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht, denn eintönige Routinearbeiten wollen die wenigsten machen, die erledigen Maschinen besser. Hier sollte der Staat mehr Mut entwickeln, mit Start-ups zusammenarbeiten, Partnerschaften mit der Privatwirtschaft eingehen und auch auf das Engagement der Bürgerinnen und Bürger setzen.

Ich glaube auch, dass wir in Deutschland eine andere Fehlerkultur brauchen. Mut zu Fehlern, das ist nicht gerade unsere Tugend, bei uns steht die Fehlervermeidung im Vordergrund. Aber Fehler haben den Vorteil, dass man von ihnen lernen kann. Wir müssten eigentlich mehr und schneller Fehler machen, um mehr und schneller zu lernen. Warum nicht auch offen über Fehler sprechen und fragen, was in Kommune und Verwaltung zuletzt so richtig schiefgegangen ist? Was war der größte Fehler, das größte Missgeschick? Dafür braucht es Raum und Zeit. Warum nicht den Freitag zu einem „Friday for Future“ machen, um offen über Fehler und Herausforderungen zu sprechen?

Nicht nur Fehler führen zu neuen Erkenntnissen, auch der internationale Austausch.

Diesen Aspekt berührt der Megatrend „Konnektivität“ ebenfalls. Andere Länder stehen in der Verwaltung vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie Deutschland. Das heißt nicht unbedingt, dass sich die Probleme auf dieselbe Art und Weise lösen lassen, aber zunächst ist der Austausch der entscheidende Punkt. Denn er bildet die Voraussetzung für alles Weitere. Verwaltungs- und Städtepartnerschaften sind geeignete Plattformen, um diesem Austausch einen Raum zu geben.

Die Corona-Pandemie ist ein Beispiel dafür, wie gewinnbringend Vernetzung sein kann: Die Entwicklung des Impfstoffes wäre ohne die Vernetzung der Wissenschaft in Echtzeit nicht möglich gewesen. Warum soll so etwas nicht auch in Bezug auf die Verwaltung gelingen?

Viele Veränderungen sind im Fluss, die junge Generation ist mittendrin. Was würden Sie ihr mit auf den Weg geben?

Aktuell treffen zwei Welten aufeinander: die der älteren Generation, die ihr Leben größtenteils der Arbeit untergeordnet und großen wirtschaftlichen Wohlstand erwirtschaftet hat. Und die der jüngeren Generation, die diesen Wohlstand alleine schon aus demografischen Gründen und ressourcenbedingt nicht aufrechterhalten kann und ein anderes Verständnis von Wohlstand hat.

Wie bereits gesagt, Krisen beinhalten auch Chancen: Die junge Generation kann einen neuen Wohlstand definieren. Einen Wohlstand, der nicht nur auf materiellen Errungenschaften beruht, sondern auch auf immateriellen. Der klimaneutral, nachhaltig und solidarisch ist. Einen, in dem es gelingt, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Die junge Generation ist keine Generation Krise, sondern eine Generation Chance, eine Generation Zukunft, die vieles bewirken und gestalten kann.

Interview: Christoph Dierking