Anzeige

Als Überraschungsgast Claus Weselsky dirigiert Orchester von Jan Böhmermann

„Eisern Ehrenfeld“ – so heißt die aktuelle Tour von Jan Böhmermann und dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld. Beim Auftakt in Frankfurt gab der ehemalige GDL-Chef den Takt an.

Montagabend, die Jahrhunderthalle in Frankfurt ist ausverkauft. Hinter Jan Böhmermann, auf der zweiten Stufe, steht Claus Weselsky. Er greift in die Innentasche seines Jacketts, zückt einen Taktstock und dreht sich zum Orchester. Und Böhmermann wendet sich an das Publikum:

Dann kommt jetzt hier auf der Bühne, in Anwesenheit von Claus Weselsky, Claus Weselsky!

Jan Böhmermann

Doch der Reihe nach – wie ist es zu dem Auftritt gekommen? Die Geschichte beginnt im Jahr 2023: Warnstreiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bringen den Eisenbahnverkehr zum Erliegen. Die Tarifverhandlungen mit der Bahn stocken, das Land diskutiert über die Verhältnismäßigkeit der Streiks. Überzogen, sagen die einen. Rechtmäßig, sagen die anderen.

Inspiriert von den Tarifverhandlungen

In dieser Gemengelage führt der Satiriker Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ einen Song über den Gewerkschafter auf. In „Claus Weselsky (ist immer noch da)“ thematisiert er die Entschlossenheit, mit der die GDL für ihre Forderungen einsteht. „Auf! Auf die Lok! Die Zylinder voll Dampf! Denn Claus Weselsky scheut nie einen Kampf!“, heißt es. Inzwischen gilt der Song als Eisenbahnhymne.

Deshalb ist es nicht überraschend, dass er auch bei der Abschiedsfeier in Dresden im vergangenen September nicht fehlen durfte, als Weselsky den GDL-Vorsitz an seinen Nachfolger Mario Reiß übergab. Mit der offiziellen Erlaubnis von Böhmermann performte Günther Kinscher, leidenschaftlicher Sänger und ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzender der GDL, die Hymne. Sogar das Modell eines roten Regionalzugs rollte damals auf die Bühne, wie bei der Premiere im „ZDF Magazin Royale“.

Heute, in der Frankfurter Jahrhunderthalle, sitzt Kinscher im Publikum. Böhmermann fragt: „Gibt es hier Mitarbeiter der Bahn? Gewerkschaftsmitglieder der GDL?“ Kinschers Stimme tönt durch die Halle: „Hiiieeer!“ Lacher, einige Zuschauerinnen und Zuschauer drehen sich um, erblicken den Mann im Anzug, der dort oben auf dem Balkon sitzt und winkt.

Er habe nicht gewusst, dass Frankfurt Hauptsitz der GDL ist, erzählt Böhmermann. Der Weselsky-Song sei „witzig gemeint“ und „jede Zeile tief empfunden“. Sein Team habe „einfach mal angefragt“, ob der Gewerkschafter nicht Lust hätte, bei dem Konzert vorbeizukommen. „Und er hat ja gesagt!“ Es seien harte Zeiten, er und der Eisenbahner würden verschiedenen Generationen angehören, auch politisch seien sie auf unterschiedlichen Wegen unterwegs. „Aber hier ist für Euch der einzigartige Claus Weselsky!“

Double mit Perücke?

Lichtkegel, tosender Applaus. Weselsky erscheint oben auf der Bühne, steigt die Treppe hinab, mit roter Fliege und schwarzem Jackett. Später, als das Konzert endet und die Menschenmassen aus dem Saal strömen, wird ein Konzertbesucher sagen: „Ich habe erst nicht geglaubt, dass es wirklich Weselsky ist, sondern dass sie wen mit Perücke auf die Bühne geholt haben.“

Doch er ist es wirklich. Er bedankt sich bei Böhmermann für die Einladung und die Hymne. Sie habe allen Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern „unglaublich viel Mut gemacht“. Der Gewerkschafter, mittlerweile Bundesehrenvorsitzender der GDL, verkündet: „Ich dirigiere heute das Lied, das Sie für mich geschrieben haben!“ – und das nicht ohne Vorbereitung: Weselsky hat bei einem professionellen Dirigenten drei Übungsstunden absolviert. Ihm ist es wichtig, die Dinge richtigzumachen, die er im Leben anpackt, verrät er vor dem Konzert. In der ersten Übungsstunde habe ihn der Dirigent mit einem Augenzwinkern und diesen Worten begrüßt: „Das passt ja, Sie sind es ja gewohnt, den Takt anzugeben!“

Mehr entdecken: Von „Nieten im Nadelstreifen“ und „Bahnsinnigen“ – wie Claus Weselsky auf seine Amtszeit blickt

Zuschauerinnen und Zuschauer filmen mit ihren Smartphones. Weselsky schwingt den Taktstock von links nach rechts. Dann hebt er ihn über den Kopf und setzt einen rhythmischen Akzent. Lautes Pfeifen ertönt. Die Jadebuben, Böhmermanns Sänger, heben die Knie und schaufeln mit den Armen. Schnaufend setzt sich ihre Dampflok-Simulation in Bewegung. Als sie wieder zum Stehen kommt, Töne und Akkorde verstummen, verbeugt sich der dbb Vize und ehemalige GDL-Chef. Einmal vor dem Publikum, einmal vor dem Orchester. Böhmermann nickt ihm anerkennend zu, die beiden umarmen sich.

Wie Weselsky den gemeinsamen Auftritt empfunden hat? „Es war verrückt!“, sagt er und lacht.

Text: Christoph Dierking

GDL Jugend: „Wer zu spät kommt, hat tendenziell schlechte Laune“

62,5 Prozent aller ICE- und IC-Züge sind nach Angaben der Bahn im Jahr 2024 pünktlich gewesen. Im Regionalverkehr waren es 93,3 Prozent. Als pünktlich gilt ein Zug, wenn die Verspätung unter sechs Minuten liegt. Insgesamt erreichten 67,4 Prozent aller Reisenden ihr Ziel pünktlich, so der DB-Konzern.

„Die Statistik ist Schönfärberei, denn ausgefallene Züge werden gar nicht erfasst“, sagt Claudio Albrecht, Vorsitzender der dbb jugend Brandenburg und Bezirksjugendleiter Nord-Ost der GDL Jugend. Entsprechend gebe es eine hohe Dunkelziffer, insbesondere im Fernverkehr.

Die Unpünktlichkeit hat nicht bloß Folgen für die Reisenden: „Auch das Zugpersonal kommt oft nicht wie geplant nach Hause“, beklagt der Gewerkschafter. Hinzu kommt, dass sich die Beschäftigten immer öfter mit unzufriedenen Fahrgästen auseinandersetzen müssen. „Wer zu spät kommt, hat tendenziell schlechte Laune, die schlimmstenfalls in Aggressionen mündet.“

Doppelbesetzung in den Abendstunden gefordert

Dabei sind Beleidigungen und Übergriffe auf das Zugpersonal ohnehin ein Thema, berichtet Albrecht, der selbst als Lokführer arbeitet. Der Ton in der Gesellschaft verroht, Fahrscheinkontrollen eskalieren häufiger. Wie es gelingen kann, das Sicherheitsgefühl der Beschäftigten zu erhöhen? Die GDL fordert seit Langem eine Doppelbesetzung in den Abendstunden. „Leider erleben wir aktuell die gegenteilige Tendenz, bei der DB wird alles zunehmend auf Kante genäht.“

Vielen Bahn-Mitarbeitenden ist ebenfalls das unabgestimmte Baugeschehen im Konzern ein Dorn im Auge. „Die Basis bekommt oft kurz vor knapp die Baustelleninfo, dann wird irgendwie versucht, die Schichten umzuplanen.“ Kolleginnen und Kollegen müssten kurzfristig früher kommen oder länger arbeiten, was im Schichtdienst eine zusätzliche Belastung darstellt.

Gewerkschaftliche Arbeit fruchtet

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Verschiedene Eisenbahnverkehrsunternehmen werben inzwischen mit der 35-Stunden-Woche. Diese hatte die GDL in der vergangenen Tarifrunde durchgesetzt. „Bei den Wettbewerbsbahnen, also jenseits der DB, sind die Bewerberzahlen teils deutlich gestiegen“, resümiert der junge Gewerkschafter.

Ein weiterer Erfolg, den die GDL Jugend verbucht: Die Verpflegungspauschale gilt bei der DB seit 1. August 2024 auch für Auszubildende und Dualstudierende. Sobald sie die erste Betriebsstätte verlassen, was bei der Eisenbahn nun einmal in der Natur der Sache liegt, erstatten die Arbeitgebenden monatlich die Hälfte der Pauschale. „Das ist eine sinnvolle finanzielle Entlastung“, erklärt Albrecht. „Bislang konnte man sich das Geld erst im Folgejahr über die Steuererklärung vom Finanzamt wiederholen.“ (cdi)

zurück