Sorge um den Klimaschutz

Lauter Protest für die Zukunft

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Festgeklebte Aktivisten, Kartoffelbrei auf Kunstwerken und Großdemonstrationen sind heute Werkzeug im Kampf gegen die Klimakrise. Was hilft der Protestbewegung für mehr Klimaschutz wirklich?

Berlin stand im April für eine Woche still. Oder zumindest war das das ursprüngliche Ziel. In Bussen, Bahnen und auf der Straße hörte man überall Gespräche und Diskussionen über die Proteste der Protestbewegung „Letzte Generation“. „Glaubst du jemand würde sie einfach überfahren?“, überlegen zwei Jugendliche während ihrer Tramfahrt. Die Berlinerinnen und Berliner sind von den Blockaden der Klimaaktivisten, die sich auf Hauptverkehrsstraßen festkleben, überwiegend genervt, die Politik spricht zunehmend von rechtswidrigen und strafbaren Aktionen.

Frust über die Klimakrise herrscht schon lang, darum organisiert und mobilisiert sich die Jugend, um aufmerksam auf die Konsequenzen zu machen. „Extinction Rebellion“, die „Letzte Generation“ oder „Fridays For Future“ - man kennt sie alle. Drei unterschiedliche Bewegungen vereint ein gemeinsames Ziel: der Klimaschutz. Sie alle verbindet auch das Gefühl der Ohnmacht angesichts einer Politik, die die Klimaziele zu zaghaft verfolgt und scheinbar immer noch die Augen vor dem wahren Ausmaß der Klimakrise verschließt. Immerhin steht die Zukunft der Jugend auf dem Spiel. Das gibt Anlass zu Protest. Wie die drei Bewegungen ihrem Unmut Ausdruck verleihen, ist unterschiedlich. „Fridays For Future“ rief freitags zum Schulstreik auf und organisierte eindrucksvolle Großdemonstrationen. „Extinction Rebellion“ setzen häufig auf friedliche Sitzblockaden. Die umstrittensten Protestformen kommen von der „Letzten Generation“. An ihren Aktionen scheiden und empören sich die Geister. Mit Kartoffelbrei auf Monets „Heuhaufen“ oder dem Festkleben auf Autobahnen positionieren sich die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ mit vollkommen neuen Protestformaten. Die Gesellschaft ist sich angesichts dieser neuen Eskalationsstufe uneins: Bringen solche destruktiven Aktionen überhaupt etwas? Oder wird der Zusammenhalt, der Konsens, dass generell mehr für den Klimaschutz getan werden muss, dadurch gespalten? Eine NDR-Umfrage zeigt, dass junge Menschen die Proteste zu 51 Prozent für angemessen halten. Dreißigjährige und älter sind sich mit 72 Prozent einig, dass die Aktionen nicht angemessen sind.

Je radikaler die Notwendigkeit des Klimaschutzes, desto radikaler die Protestformen

Die Unvermeidlichkeit ihrer Aktionen sieht die „Letzte Generation“ in der Dringlichkeit des Klimaschutzes. Es sei Zeit für die Menschen und die Politik, mehr zu tun. Denn die Notsituation bekämen vor allem die Jugendlichen zu spüren. Dies sei nicht nur ein Problem der Zukunft. Schon jetzt, bestätigt eine Studie des Umweltbundesamts, habe die Klimakrise psychische Auswirkungen auf die Mehrheit der jungen Menschen. Emotionen wie Angst, Wut, Trauer und Ungerechtigkeitsempfinden stünden dabei im Mittelpunkt. Durch zivilen Ungehorsam verleiht die „Letzte Generation“ diesen Gefühle Ausdruck und verschafft sich Gehör. Und das sei ihnen auch gelungen, meint Protestforscherin Lena Herbers. Solche Aktionen seien die Konsequenz daraus, dass bisher keine angemessenen Schritte für den Klimaschutz eingeleitet würden. Herbers forscht an der Universität Freiburg und untersucht soziale Bewegungen und zivilen Ungehorsam. Sie ist der Meinung, dass – egal ob positiv oder negativ – diese Aufmerksamkeit das Thema der Klimakrise medial in den Mittelpunkt rückt. „Sie bilden einen Störfaktor, der das Normale unterbricht. Je radikaler die Notwendigkeit des Klimaschutzes, desto radikaler die Protestformen“, sagt die Expertin in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Man müsse nicht hinter den Aktionen der „Letzten Generation“ stehen, könne sie aber trotzdem als notwendig für die Klimabewegung ansehen, so Herbers weiter. Ziviler Ungehorsam wird als Ausdruck des Widerstands als gewaltfreie Protestform genutzt. Das sind in den meisten Fällen Sitzblockaden. Und diese gibt es nicht nur seit der „Letzten Generation“. Es ist ein absichtlicher Gesetzesbruch, um die Politik und Regierung zu Änderungen oder Handlungen zu bewegen. Umstritten bleibt er, da diese Protestform das tägliche Leben der Gesellschaft stören und punktuell auch in Gefahr bringen kann – man denke etwa an Rettungskräfte, die durch einen von Klimaaktivist*innen ausgelösten Stau feststecken. Protestierende der „Letzten Generation“ gingen dieses Risiko bewusst ein, weil sie einen hohen Handlungsdruck verspürten, so Herbers. Ob sie die Gesellschaft damit spalte, bleibt Gegenstand weiterer Diskussionen.

Der Psychologe Stephan Grünewald erläuterte in einem Interview mit der Tageszeitung „taz“, wieso es radikalere Proteste trotz aller berechtigter Einwände brauche. Eine Studie des „Rheingold Institut“ habe gezeigt, dass viele Menschen stark mit den Protesten von „Fridays For Future“ sympathisierten. Das erfreute die jungen Menschen, weil die älteren, die die Macht besäßen etwas zu ändern, endlich zuhörten und zustimmten. Die alte Generation hingegen fand es gut, dass die Jungen auf das Problem hinwiesen. Wenn sie später die Kompetenz und Macht dazu haben, kümmern sie sich um das Klimaproblem. Somit waren sich alle über die Betroffenheit einig, aber die Verantwortung wurde vom einen auf den anderen und damit in die Zukunft geschoben. Damit sei die „Letzte Generation“ „eine notwendige Metamorphose des Protests“, erklärte Grünewald.

Klimaschutz braucht Zusammenhalt

Unverständnis für die Aktionen der „Letzten Generation“ kommt mittlerweile auch aus den eigenen Reihen der Klimaschutzbewegung. „Fridays For Future“-Sprecherin Annika Rittmann warf ihnen vor, mit ihren Protestaktionen die Gesellschaft zu spalten. Die Klimakrise brauche gesamtgesellschaftliche Lösungen, und diese fände und erstritte man nur gemeinsam, nicht, indem man Menschen im Alltag gegeneinander aufbringe. Anlass für diese Reaktion Rittmanns waren die Blockaden der „Letzten Generation“ in Hamburg, die zu Ostern vor allem Pendlerinnen und Pendler betraf. Das seien Menschen, die es sich nicht leisten könnten, in der Innenstadt zu wohnen oder den ÖPNV zu nehmen, so Rittmann. Diese Menschen nun zusätzlich negativ zu belasten, sei unfair. Auch die „Grünen“, Klimapartei schlechthin, sehen die aggressiven Formen des Protests kontraproduktiv. Sie bezeichneten die Aktionen in Hamburg als „elitäre und selbstgerechte Proteste“, die vor allem den materiell benachteiligten Menschen schaden würden. So könne man keine „breite Bewegung in der Gesellschaft für konsequente Klimaschutzpolitik“ zusammenbringen, sagte Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. „Der Klimawandel ist menschengemacht, deshalb braucht es die Menschen, wenn wir ihn, so gut es geht, aufhalten wollen“, fügte sie hinzu. Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisierte die April-Sitzblockaden der „Letzten Generation“: „Ich habe nicht das geringste Verständnis für die Aktionen“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. „Die Klimakrise können wir nur demokratisch bekämpfen.“ Die Ministerin hatte die Aktionen der Gruppe schon mehrmals kritisiert. Die Polizei habe ihre Unterstützung, wenn sie konsequent durchgreifen müsse. Für sie ende legitimer Protest dort, wo Straftaten begangen und andere in ihren Rechten verletzt würden, unterstrich Faeser. Auch die Bundesregierung beurteilt solche Aktionen kritisch, sie hält sie für kontraproduktiv in Sachen Klimaschutz. Der Klimaforscher Mojib Latif sieht das ähnlich. Er lehne die Aktionen ab, weil in der Öffentlichkeit kaum über das wichtige Thema Klima an sich gesprochen werde, sondern vor allem Wut über die Protestformen Gegenstand aller Diskussionen sei. So bekäme die gesamte Klima-Bewegung einen schlechten Ruf. Was dem Klima wiederrum schaden könnte, weil aus Verärgerung über die „Letzte Generation“ Handlungen für den Klimaschutz ausblieben, warnte Latif.

Auch die dbb jugend beschäftigt sich mit der Klimakrise und lädt am 19. Oktober 2023, 10.00 bis 16.30 Uhr, zum Ideencampus ins dbb forum berlin, Friedrichstraße 169, 10117 Berlin oder digital ein. Hier soll debattiert, zugehört und sollen verschiedene Perspektiven ausgetauscht werden.