• Matthäus Fandrejewski
    Foto: Vanessa Wunsch

Arbeiten im öffentlichen Dienst?

Job gesucht - Sinn gefunden

Matthäus, Verwaltungsfachangestellter, hat für "Business Insider" aufgeschrieben, was Arbeiten beim Staat so besonders macht - und was besser werden muss.

#staatklar veröffentlicht den Gastbeitrag, der am 23. September 2022 in "Business Insider" erschienen ist.

"Arbeiten bei „Vater Staat“? Da denken viele an graue Amtsstuben, verstaubte Akten und allgegenwärtige Langeweile. Vergesst diesen Quatsch, das ist Schnee von gestern! Der öffentliche Dienst ist Deutschlands größter, vielfältigster und buntester Arbeitsgeber. Fünf Millionen Menschen stehen hier im Dienst der Gesellschaft und sorgen für Sicherheit, Recht und Ordnung, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt.

Job gesucht – Sinn gefunden. So in etwa könnte die Headline über meinen bisherigen Berufsweg lauten. Geboren im polnischen Danzig und im Alter von vier Jahren mit meiner Familie nach Deutschland übergesiedelt, habe ich nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten bei der Kreisverwaltung Lippe begonnen. Gemeinsam mit den anderen Azubis ging es durch verschiedenste Stationen der Kommunalverwaltung – Kämmerei, Ordnungsamt, Bauamt, Umweltamt, Bürgeramt – es ist beeindruckend, wie vielfältig und abwechslungsreich so eine Verwaltung ist, wenn man die Tür ersmal aufgemacht hat. Ob Zahlen-Liebhaber oder Paragraphen-Matador, Kommunikatorin oder geborene Ordnungskraft – für jedes Talent und Naturell ist im Grunde etwas dabei. Ich ging nach meiner Ausbildung auf „Weltreise” und arbeitete ich sechs Jahre als Sachbearbeiter im Amt für Ausländerangelegenheiten, zuständig für die Aufenthaltsregelung von Menschen ohne legalen Aufenthalt. Kein Tag dort war wie ein anderer, weil ich stets mit neuen Menschen, spannenden Biographien und anderen Kulturen in Kontakt kam. Ich habe während dieser Zeit viel Menschenkenntnis gewonnen und meinen Horizont quasi einmal rund um den Globus erweitert.

Am Abendgymnasium holte ich neben dem Job mein Abitur nach und wurde anschließend von meinem Arbeitgeber für ein Bachelor-Studium „International Business Management” freigestellt, in dessen Rahmen ich sogar zwei Jahre in Paris studierte. In der Verlängerung der Freistellung mache ich derzeit meinen Master in „Political Economy of the European Integration“. Warum dieses Studium? Ich möchte gerne mehr Verantwortung übernehmen, vielleicht sogar mal auf Landes- oder Bundesebene arbeiten, und dafür die Voraussetzungen verbessern. Ich bin meinem Arbeitgeber sehr dankbar, dass er mich darin durch die Freistellung unterstützt.

Im Rückblick würde ich mich immer wieder für den öffentlichen Dienst entscheiden, denn ich empfinde die Arbeit beim und für den Staat bis zum heutigen Tag als Gewinn. Nicht in erster Linie in materieller Hinsicht, sondern vor allem persönlich: Die vielen Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern, Kolleginnen und Kollegen. Der 'Alltag', in dem kein Tag wie der andere ist. Das Wissen darum, dass ich einen wichtigen Beitrag dazu leiste, dass das Land für die Menschen, die in ihm leben und arbeiten, funktioniert. Die Möglichkeiten der fachlichen und individuellen Weiterentwicklung. Der Puls der aktuellen Politik, der von der Bundesebene über die Länder bis in die kleinsten Verästelungen der Kommunalverwaltung schlägt – all das bereichert mein Leben und, ja, macht Sinn für mich.

Nach 13 Jahren als Verwaltungsangestellter kann ich sagen: Mit Blick aufs Einkommen wird man im öffentlichen Dienst sicher nicht reich. Aber ich habe hier neben der sinnhaften und vielfältigen Aufgabe einen vergleichsweise sicheren Arbeitsplatz, eine gute Zusatzversorgung und attraktive Arbeitszeitmodelle, Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung und Perspektiven – das Gesamtpaket stimmt.

Ich kann mir nicht vorstellen, nur für den Profit in irgendeiner Unternehmensbilanz zu arbeiten. Die Bilanz des öffentlichen Dienstes wird zwar nicht quartalsweise in einer Pressekonferenz vorgelegt. Aber sie kann sich absolut sehen lassen. Volkswirtschaftlich betrachtet ist ein funktionierender öffentlicher Dienst in all seinen 'Unternehmensbereichen' ein ganz entscheidender Standortfaktor. Ohne Bildung, ohne Sicherheit, ohne Regeln, ohne Infrastruktur, ohne Gesundheit lässt sich nun mal nicht gewinnbringend wirtschaften, Wohlstand generieren und erhalten – it’s not only economy, stupid, it’s the civil service, too!

Zu teuer, zu lahm, zu bürokratisch – klar kenne ich das ewige Staatsdiener-Bashing. Zu teuer sind wir überhaupt nicht, das belegt allein schon der Vergleich mit den Staatserwerbstätigenquoten und Personalausgaben anderer EU-Staaten. Und wenn zum Beispiel ein einziger Steuerfahnder pro Jahr eine Million Euro „reinholt“, soll mir mal einer erklären, was sich daran nicht rechnet. Zu lahm, zu bürokratisch, zu analog? Unterschreibe ich, finden wir Beschäftigten auch extrem nervig. Aber für den Regulierungswahn können wir persönlich gar nichts, und wir hätten bei aller erforderlichen Gründlichkeit auch lieber heute als morgen schlanke Prozesse und smarte Technik, die uns entlasten, damit wir wieder besser für unsere 'Kundschaft' da sein können. Aber das wird. Es ist natürlich ein riesiger Verwaltungs- und Behörden-Tanker, der da in Bund, Ländern und Gemeinden modernisiert werden muss, doch je mehr junge Menschen – digital natives – das Team Staat verstärken, desto schneller werden wir flott!"

Matthäus Fandrejewski (33), ist mittlerweile seit 13 Jahren im öffentlichen Dienst tätig und engagiert sich auch ehrenamtlich. Als Vorsitzender der dbb jugend steht er an der Spitze der größten gewerkschaftlichen Jugendorganisation im öffentlichen Dienst und in den privatisierten Bereichen, zudem ist er Youth-Representative des europäischen Gewerkschaftsverbands CESI.