• Unsichere Finanzierung, fehlende Standards, zu wenig Platz: In vielen Frauenhäusern ist die Situation angespannt.
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Frauenhäuser

„Insgesamt ist vieles einfach nicht durchdacht“

Unsichere Finanzierung, fehlende Standards, zu wenig Platz: Im Interview schildert die Leiterin eines Berliner Frauenhauses, was aus ihrer Sicht schiefläuft.

„Im Prinzip ein bisschen wie eine Hotelleitung“ – so beschreibt Gabriele Kriegs ihre Arbeit. „Nur das Hotel hat eben eine Schutzfunktion.“

Ihre Gäste sind keine Urlauber, sondern Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht haben. Das Gebäude, dessen genauer Standort geheim ist, dient nicht der Erholung, sondern der Zuflucht. Kriegs leitet keine Reisen, sondern das Frauenhaus der Caritas in Berlin.

Im Gespräch mit #staatklar schildert die Sozialarbeiterin, wo die Politik nachbessern muss, außerdem gibt sie Einblicke in ihren Alltag. „Was mich tagsüber erwartet, weiß ich morgens nicht. Wer einzieht, wer wieder auszieht, wer anruft.“

#staatklar: Frau Kriegs, der Erstkontakt erfolgt immer telefonisch. Wer bekommt einen Platz?

Gabriele Kriegs: Die wichtigsten Fragen sind, was passiert ist und ob die Anruferin wirklich zu uns kommen will. Manchmal sagen uns Frauen direkt, dass sie eigentlich gar nicht kommen wollen und nur anrufen, weil das Jugendamt, die Kindertagesstätte oder die Schwiegereltern dazu aufgefordert haben. In solchen Fällen macht ein Aufenthalt nur wenig Sinn, vor allem in Hinblick auf die wenigen Plätze, die uns hier in Berlin zur Verfügung stehen. Wir schauen dann, ob möglicherweise eine Beratungsstelle eine Alternative sein kann. Ausschlaggebend ist natürlich immer die akute Gefährdungslage.

Woran erkennen Sie, dass die Situation ernst ist? Was sind Alarmsignale?

Ein Alarmsignal ist immer, wenn die Anruferin ihre Situation konkret beschreiben kann. Wenn sie sagt: Er hat mir ins Gesicht geschlagen. Er hat mir in den Bauch getreten. Er bommert gerade immer noch gegen die Tür.

Was den Frauen widerfährt, ist in der Regel sehr bedrohliche Gewalt. Im Extremfall hat der Mann eine Waffe, mit der er droht. In manchen Fällen baut er eine drohende Atmosphäre auf. Schlägt gegen Sachen, haut Gegenstände kaputt, sodass die Frau Angst haben muss, es als nächste abzubekommen. Aber manchmal sind es auch Schikanen, die Anruferinnen schildern. Zum Beispiel, dass sie um fünf Euro für den Einkauf betteln müssen.

Nehmen wir an, die Lage ist ernst und eine Frau kommt zu Ihnen. Wie geht es dann weiter?

Wir nennen der Frau einen Treffpunkt, zu dem Freundinnen oder Angehörige sie begleiten dürfen. Warten muss sie allerdings alleine, in der Regel holt eine Bewohnerin sie ab. Die Strenge ist zum Schutz der Frauen. Ausnahme ist natürlich Polizei in Uniform, die dabei ist, wenn es die Situation erfordert.

Wenn die Frau ankommt, erklären wir zunächst die Regeln – das mag jetzt vielleicht etwas kurios klingen, ist aber von großer Bedeutung. Wir müssen gewährleisten, dass alle die Türen richtig schließen. Davon abgesehen: Bei uns im Haus kommen Frauen aus sämtlichen Kulturkreisen unter, oft sind Kinder dabei. Da ist ein klares Regelwerk einfach wichtig, sonst funktioniert das Zusammenleben nicht. Unsere Hausordnung gibt es in 15 Sprachen.

Im Anschluss zeigen wir das Zimmer. Das ist immer der Moment, wo Beruhigung eintritt, das merken wir richtig. Meistens vereinbaren wir auch gleich einen Termin für ein Beratungsgespräch, das dann am Folgetag stattfindet.

Wie gehen Sie damit um, wenn Kinder dabei sind?

Für die Kinder haben wir im Haus einen großen Spielbereich. Dort werden sie während des Erstgesprächs betreut. Sie sollen nicht dabei sein, wenn ihre Mutter erzählt, was passiert ist. Meistens haben sie schon viel zu viel gesehen und mitbekommen.

Gemessen an Ihren Erfahrungswerten: Wann sind Frauen besonders von Gewalt betroffen?

Gewalt kommt in allen sozialen Schichten vor. Wir hatten hier im Haus schon Ärztinnen und Krankenschwestern. Aber es ist schon so, dass meistens Frauen bei uns bleiben, die sozial oder finanziell benachteiligt sind. Die wenig Deutsch sprechen, bei denen der Aufenthalt nicht geregelt ist. Wer bessergestellt ist, kommt meistens schnell anderswo unter.

Bundesweit klagen Frauenhäuser über Platzmangel. Wie bewerten Sie die Situation?

Ja, Platzmangel kommt auch bei uns vor. Besonders schlimm war es während der Flüchtlingskrise. Geflüchtete Familien mussten auf engsten Raum leben, da ist vieles eskaliert. Bei uns stand das Telefon nicht still. Wir mussten viele Frauen abweisen, das war ganz schlimm.

Wir unterstützen ausdrücklich das Bemühen, neue Plätze zu schaffen, vertreten aber auch einen Standpunkt, der meiner Meinung in der Debatte zu kurz kommt: Frauenhäuser sind eine Übergangseinrichtung. Das Ziel muss doch sein, von Gewalt betroffenen Frauen Wege in ein geregeltes Leben aufzuzeigen. Die Frauen brauchen Zugang zum Wohnungsmarkt. Wir brauchen mehr sogenannte Zweite-Stufe-Wohnungen, in denen sie nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus eine Zeit lang leben können. Davon gibt es viel zu wenige.

Welche Probleme muss die Politik noch anpacken?

Wissen Sie, insgesamt ist vieles einfach nicht durchdacht. Ganz grundsätzlich wäre es sinnvoll, wenn wir überhaupt eine klare Definition hätten, was ein Frauenhaus sein soll. Wie viel Personal muss es geben? Und welches? Wie groß muss ein Frauenhaus sein? In manchen Fällen handelt es sich um eine Wohnung mit drei Plätzen, manchmal um ein Haus mit 70 Plätzen. Das sollte sich die Politik wohlwollend anschauen. Einerseits gibt es keine definierten Standards, dafür andererseits an anderer Stelle bürokratische Hürden ohne Ende. Wenn wir unser Platzangebot erweitern müssen, verlangt die Verwaltung von uns architektonische Meisterleistungen, es ist extrem kompliziert. Ich würde mir ein einfaches Zuschussverfahren wünschen.

Wie bewerten Sie die finanzielle Situation der Frauenhäuser?

In Berlin werden alle Frauenhäuser über Senatsmittel finanziert, im Vergleich zu anderen Bundesländern sind wir ganz gut aufgestellt. Mehr könnte es natürlich immer sein, keine Frage. Die Mittel müssen wir für zwei Jahre beantragen, in dieser Zeit haben wir Sicherheit. Aber theoretisch könnte es auch sein, dass plötzlich keine Mittel mehr bewilligt werden, weil kein Geld da ist, und dann ist Ende. Unterm Strich brauchen wir eine bundeseinheitliche Regelung, damit bundesweit alle Frauenhäuser abgesichert sind.

Zurück zu den Frauen: Laut Bundeskriminalamt gab es 2022 mehr Fälle von häuslicher Gewalt. 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Trauen sich mehr Frauen, die Taten anzuzeigen? Oder gibt es mehr Gewalt?

Das ist schwierig zu beantworten, insgesamt brauchen wir mehr Forschung zu diesen Fragen. Ich kann da natürlich nur für unser Haus sprechen. Ein Anstieg ist aus meiner Sicht vorstellbar, weil immer mehr Familien in engen Wohnverhältnissen leben. Da eskalieren Situationen schneller, vor allem bei den Männern, die gewaltbereit sind.

Ich glaube auch, dass das Anzeigenverhalten früher geringer war, aber es ist bei weitem nicht so, dass alle Frauen Taten anzeigen. Gründe sind Angst, Scham oder die Sorge, dass es im Familienverbund nicht gut ankommt. Und in der Praxis ist es vielen Frauen oft erstmal wichtiger, das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu bekommen und über das Familiengericht Kontaktverbote für die Männer zu erwirken. Wir dürfen auch nicht vergessen: Wer in einer Notlage ist, denkt nicht gleich an eine Anzeige, sondern zunächst an seine Sicherheit. Das Wichtigste ist erstmal, der Notlage zu entkommen.

Interview: Christoph Dierking