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Im Gespräch: Julia Mayer, Sprecherin der AG Europa der dbb jugend, und der Europapolitiker Norbert Lins. Foto: AG Europa
InterviewNorbert Lins: „Wir müssen junge Menschen nicht nur einladen, sondern selbst zu ihnen kommen“
Am 9. Mai ist Europatag. Ein Tag, an dem Frieden und Einheit in Europa gefeiert und den Ursprüngen der Europäischen Union gedacht wird. Im Interview spricht der Europapolitiker Norbert Lins (CDU) über die europäischen Herausforderungen der Zukunft.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, dass Frieden in Europa nicht selbstverständlich ist – anlässlich des Europatags hat Julia Mayer, Sprecherin der AG Europa der dbb jugend, mit dem Europaabgeordneten Norbert Lins (CDU) gesprochen. Im Interview unterstreicht er die Bedeutung der Europäischen Union, schildert aktuelle Herausforderungen und zeigt auf, wie es gelingen kann, die junge Generation für Europa zu begeistern.
#staatklar: Herr Lins, welche Bedeutung hat die Europäische Union für Sie persönlich?
Norbert Lins: Die Europäische Union ist mehr als ein Staatenbund aus 27 Mitgliedsländern und sie ist auch mehr als ein Binnenmarkt mit offenen Grenzen. Europa ist eine Wertegemeinschaft, sie war und ist Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine im vergangenen Jahr wurde uns allen klar, dass dies längst nicht selbstverständlich ist. Für uns, aber besonders für unsere Kinder und Enkel gilt es deshalb, diese Errungenschaft zu bewahren und fit für die Zukunft zu machen.
Inwieweit wird die Bedeutung Europas den EU-Bürger*innen zu Krisenzeiten bewusster?
Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre und der Gegenwart und die gemeinsamen europäischen Antworten darauf haben uns in verschiedener Weise die Bedeutung der EU gezeigt. Während der Covid-19-Pandemie hat die EU eine gemeinsame Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen organisiert und durch finanzielle Unterstützung eine rasche wirtschaftliche Erholung der Mitgliedsstaaten ermöglicht. Sie hat uns deutlich gemacht, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit und europäische Koordination ist, um in unserer vernetzten Welt eine wirksame Bekämpfung der Pandemie zu gewährleisten.
Gleichzeitig ist die Europäische Union Antreiber für die weltweite Bekämpfung des Klimawandels. Wie das Coronavirus macht auch der Klimawandel nicht an Ländergrenzen Halt. Solche globalen Herausforderungen erfordern gemeinsame Antworten auf internationaler Ebene. Wir gehen die Probleme des Klimaschutzes in der Europäischen Union an, sei es über verbindliche Klimaziele oder über den Europäischen Emissionshandel. Die Rolle bei der Verabschiedung des Pariser Klimaschutzübereinkommens macht die Bedeutung der EU noch deutlicher.
Im Zuge der russischen Aggression in der Ukraine wurde schließlich ihre Bedeutung als Garant für Frieden und Freiheit für jeden deutlich. In den mittlerweile zehn Sanktionspaketen steht die Europäische Union geschlossen für gemeinsame Werte, für eine offene Gesellschaft und für eine liberale Demokratie ein. Uns allen wurde im vergangenen Jahr deutlich, dass Frieden und Freiheit auf europäischem Boden keine Selbstverständlichkeit sind. Vielmehr hat sich gezeigt, welche Bedeutung die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten für Stabilität in Europa gespielt hat und warum es sich lohnt, genau dafür einzustehen.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht am wirkungsvollsten, um junge Menschen an die EU heranzuführen und für sie zu begeistern?
Ich glaube, besonders junge Menschen sind sich bereits der Bedeutung der Europäischen Union für ein starkes Europa bewusst. Trotzdem muss es stets in unserem Interesse sein, der Jugend die Arbeit der EU näher zu bringen. Bezahlte Praktika im Parlament oder in der Kommission bieten jungen Europäern zum Beispiel einen Einblick hinter die Kulissen der Europäischen Union.
Gleichzeitig müssen wir junge Menschen einladen, ihre Ideen und Ansichten einzubringen und damit Ihre Zukunft selbst mitzugestalten. Das Schlagwort heißt hier „Beteiligung“: Dafür braucht es unterschiedliche Formate – vor Ort wie in Straßburg und Brüssel. Das European Youth Event ermöglicht es beispielsweise tausenden von jungen Menschen im Herzen der europäischen Demokratie in Straßburg ihre Erwartungen und Anliegen zu diskutieren und im Anschluss den MdEPs vorzustellen. Auch über die Beteiligung am EU-Jugenddialog, an den jungen europäischen Föderalisten (JEF) oder an der EU-Sommerakademie ermöglicht die EU jungen Menschen, die europäische Politik mitzugestalten.
Und schließlich muss die EU auch politisch dafür sorgen, dass sich junge Menschen für sie begeistern. Wir müssen junge Menschen nicht nur einladen, sondern selbst zu ihnen kommen – durch verständliche, verhältnismäßige und wirksame Politik. Wenn wir uns durch gute Politik um die Anliegen der jungen Menschen kümmern, um die Bekämpfung des Klimawandels, die Sicherung des Wohlstands und Wahrung des Friedens, dann werden wir junge Menschen noch mehr an die Europäische Idee heranführen.
Welche politischen Themen muss die Politik aus Ihrer Sicht auf EU-Ebene angehen, um die Situation junger Menschen in der EU nachhaltig zu verbessern?
Es geht darum, die Europäische Idee fit für die Zukunft zu machen. Das bedeutet, wir müssen alles dafür tun, dass die Europäische Union weiterhin Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand bleibt. Bei der Bekämpfung des Klimawandels müssen wir wirksamer werden und dafür sorgen, dass wir die bestehenden Ziele auch umsetzen. Gleichzeitig müssen wir den Klimaschutz mit Wirtschaftswachstum vereinen. Wir müssen die Jugendbeschäftigung fördern und durch Bürokratieabbau und Entlastungen zukunftsorientierte Ausbildungsplätze schaffen. Und zuletzt geht es darum, unsere Lebensweise und unsere gemeinsamen Werte zu verteidigen, damit junge Menschen weiterhin in einem friedlichen und stabilen Europa leben können.
Was kann Deutschland von den skandinavischen EU-Staaten in Hinblick auf Staatsmodernisierung und Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes lernen?
Die öffentliche Reformverwaltung, die in den skandinavischen EU-Ländern bereits stark fortgeschritten ist, bietet große Chancen auch für Deutschland. Flachere Hierarchien, partizipative Entscheidungsformen und innovative Arbeitszeitmodelle können Vorbild für Deutschland sein. Wir müssen bei der Digitalisierung des öffentlichen Sektors aufholen. Durch digitale Services und die Nutzung von neuen Technologien können Behörden effizienter arbeiten, was sowohl den Bürgern als auch den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zugutekommt.
Herr Lins, nennen Sie uns drei Gründe, warum es lohnt, im Frühjahr 2024 zur Europawahl zu gehen.
Zum einen ist das Europäische Wahlrecht ein einzigartiges Recht und Privileg. Das EU Parlament ist das weltweit einzige supranationale Parlament, das in allgemeiner Direktwahl gewählt wird. Dieses Privileg sollten wir nutzen – gerade in Zeiten, in denen Demokratie und Freiheit global herausgefordert werden. Zum anderen bietet das Wahlrecht uns die Möglichkeit, Europa mitzugestalten. Wir können dafür sorgen, dass unsere Interessen und Anliegen auch auf europäischer Ebene vertreten werden – denn EU-Politik ist Teil unseres Alltags. Und zuletzt lohnt es sich, durch unsere Stimme Europa zu stärken. Denn indem wir für die Europäische Idee einer selbstbewussten Wertegemeinschaft einstehen, stärken wir sie gegenüber Populisten von links und rechts.
Zur Person:
Als Teil der Fraktion der Europäischen Volkspartei ist Norbert Lins (CDU) seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments. Seit Juli 2019 ist er Vorsitzender des Agrarausschusses, in dieser Funktion befasst er sich mit Umweltfragen, der öffentlichen Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Lins engagiert sich darüber hinaus für ein bürgernahes Europa, eine leistungsfähige und nachhaltige Landwirtschaft, einen gesunden Mittelstand sowie gute Verkehrswege und schnelles Internet.