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Am Stockbild lässt sich erkennen, ob sich die Forstwirte an die Sicherheitsvorschriften gehalten haben. Patricia Stichling kontrolliert's. Foto: Brenner
ForstwirtschaftÖkologie und Ökonomie vereinen – „Sonst bringt der Wald keine Erlöse!“
Trockenheit, Schädlinge, Wassermangel: Der Klimawandel setzt den Wald unter Druck. Wie die Forstwirtschaft gegensteuert, damit er auch in Zukunft seine Funktionen erfüllen kann.
„Aaaaachtung!“, tönt es aus dem Geäst zwischen den Bäumen. Dann klappt der mächtige Stamm wie ein Scharnier um, kontrolliert und zielgenau. Der Boden erzittert. Selbst aus sicherer Entfernung lässt sich die Wucht des Aufpralls unter den Füßen spüren.
Sicherheit steht über allem, ein Flatterband sperrt den Waldweg. Patricia Stichling hat die Umgebung genau im Blick, für den Fall, dass Pilzsammler oder Spaziergängerinnen kreuzen. Die 25-Jährige ist Funktionsingenieurin für Verwaltung und Planung im Forstbetrieb Chorin in Brandenburg. So lautet zumindest die offizielle Berufsbezeichnung. „Ich weiß, das klingt ziemlich sperrig“, sagt die gebürtige Pfälzerin und lacht. „Försterin trifft es natürlich auch, das sind wir von der Qualifikation her alle.“
Zufrieden begutachtet Stichling das Werk der Forstwirte. Einer der beiden trägt ein Maßband am Gürtel, das er am Ende des Stammes befestigt. Während er die Äste beseitigt, zieht er das Band mit, um den Stamm an der korrekten Stelle durchzusägen. Die Motorsäge heult auf. „Der Kunde hat ein bestimmtes Maß vorgegeben“, erzählt die Försterin, zu deren Aufgaben das Controlling gehört. Sowohl, was den Arbeitsschutz betrifft, als auch die Qualitätssicherung des Holzes.
Die Holzernte – die Forstwirtschaft spricht vom „Holzeinschlag“ – ist kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Planung und Arbeit. Es wird nicht einfacher, denn dem Wald geht es nicht gut. Aus dem aktuellen Waldzustandsbericht geht hervor, dass nur jeder fünfte Baum gesund ist.
Wald soll Kohlenstoff binden
Und laut aktueller Bundeswaldinventur, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im vergangenen Oktober vorgestellt hat, machen die Folgen der Dürrejahre 2018 bis 2021 den Bäumen noch immer zu schaffen. Obwohl die Waldfläche zugenommen hat, gibt es insgesamt weniger Holz, das Kohlenstoff bindet. Inzwischen ist der Wald eine Kohlenstoffquelle: Er gibt mehr Kohlenstoff ab, als er aufnimmt, mehr klimaschädliches Kohlenstoffdioxid gelangt in die Atmosphäre. Das liegt vor allem am Rückgang der Fichte; Borkenkäfer und Stürme haben sie – sprichwörtlich – in die Knie gezwungen, heißt es im Bericht. Dieses Problem besteht vor allem im Harz.
In Brandenburg hingegen sieht es, zumindest was das betrifft, besser aus. Hier dominieren Kiefern die Wälder; die durch Kalamitäten geplagten Fichten sind in der Minderheit. Kalamitäten, das ist in der Biologie der Überbegriff für Schadereignisse, die beispielsweise von Trockenheit oder Käferbefall verursacht werden. „Auch wir nehmen negative Veränderungen wahr“, sagt Stichling und deutet auf die Baumkronen, an denen nur noch etwas Herbstlaub baumelt. „Auch im Sommer waren die Kronen nicht dicht, die Verlichtung nimmt zu“ – das bedeutet: Die Blätter werden weniger und die noch vorhandenen sind kleiner. Diese Entwicklung lässt sich über Jahre nachvollziehen.
Stichling stammt aus Rheinland-Pfalz, aus einer waldreichen Region in der Nähe der französischen Grenze. Schon als Kind verbringt sie viel Zeit in der Natur. „Ich musste nur aus der Tür rausstolpern und schon stand ich im Wald.“
Wie viele junge Menschen ihrer Generation, erfasst Stichling im Teenageralter eine Klimasinnkrise. Deshalb erwägt die damalige Schülerin, nach dem Abitur Umweltwissenschaften zu studieren, ist sich aber unsicher – denn sie sieht sich eher praktisch veranlagt, weniger als Schreibtischtäterin. Klar ist jedoch: Es soll ein Beruf sein, mit dem sie der Natur hilft und nicht gegen sie arbeitet. Inspiration bringt der Vater eines Mitschülers, ein Förster. „Durch ihn habe ich erst erfahren, dass es den Job gibt, mich weiter informiert und festgestellt, dass es passt.“ Das hat sich bis heute nicht geändert, zunächst im Studium und später im Beruf bestätigt sich: „Es ist mein Traumjob!“
Naturverjüngung oder aktives Anpflanzen?
Während die Forstwirte das Holz zurechtsägen, schreitet die Försterin durch das Walddickicht. Moos bedeckt den Boden – ein Zeichen dafür, das in der Umgebung ausreichend Feuchtigkeit vorhanden ist. Ringsherum sprießen Buchen, Eichen und Eschen aus dem Boden. Stichling begutachtet die Knospen, einige sind verbissen, sie dienen unter anderem Rehen als Nahrung. „Zu viel Wild verhindert, dass sich der Wald regenerieren kann. Deshalb müssen wir es durch Jagd auf ein verträgliches Maß regulieren.“
Die Regeneration des Waldes, die sogenannte Naturverjüngung, passiert in der Regel automatisch. Eichhörnchen und Eichelhäher tragen Saatgut in die Fläche, auch der Wind trägt seinen Teil bei: Er verteilt die Samen von Aspen, Birken und Erlen, die lange im Humus überdauern können. „Ich halte diesen natürlichen Weg für den richtigen“, betont Stichling. „Die Natur soll sich unter angepassten Wildbeständen möglichst selbst entwickeln können.“
Doch manchmal wird auch aktiv gepflanzt – zum Beispiel auf Flächen, auf denen Fichtenmonokulturen standen. Das ist kein einfaches Unterfangen: Die jungen Pflanzen kommen aus der Baumschule und sind durch nährstoffreichen Humus verwöhnt. In der Freifläche folgt oft ein Pflanzschock, weil die Bedingungen deutlich schwieriger sind.
Funktionen des Waldes bedroht
„Aus verschiedenen Untersuchungen geht hervor, dass Naturverjüngung nicht immer zuverlässig von selbst stattfindet“, sagt Jens Schröder, Professor für Waldökologie und Waldbaugrundlagen an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. „Deshalb ist es an manchen Orten durchaus sinnvoll, durch aktives Pflanzen nachzuhelfen“ – so bekämen die betroffenen Flächen schneller wieder einen waldähnlichen Charakter.
Und der ist wichtig, weil der Wald diverse Funktionen erfüllt. Er beherbergt eine enorme Artenvielfalt, bietet den Menschen Erholungsraum, liefert Holz und sorgt nicht zuletzt für saubere Luft und sauberes Trinkwasser. Außerdem leistet er einen wichtigen Beitrag für den Boden- und Erosionsschutz.
Damit der Wald diesen Funktionen auch in Zukunft gerecht werden kann, ist viel mehr Forschung erforderlich, betont Schröder. Gerade mit Blick auf die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Doch die Bundesregierung hat die Mittel für den Waldklimafonds mit dem Haushaltsbeschluss 2024 gestrichen. 30 Millionen Euro fehlen. „Es besteht zwar die Option, projektbezogene Forschungsgelder zu beantragen. Aber das reicht nicht und verkennt den Ernst der Lage“ – es könne nicht angehen, dass die Politik die Forstwirtschaft so stiefmütterlich behandle.
Stress hält einen Organismus davon ab, sein optimales Potenzial zu entfalten. „Wenn wir keinen Stress haben, dann geht es uns bestens, das ist bei den Bäumen nicht anders“, erklärt der Professor. „Aktuell sind die Bäume im Dauerstress und kommen gar nicht mehr dazu, sich zu erholen.“
Stressauslöser sind Hitze, ausbleibender Niederschlag und die daraus resultierende Trockenheit. Schädlinge, wie beispielsweise der Borkenkäfer, haben leichtes Spiel, weil der Baum wegen des Wassermangels nicht mehr ausreichend Harz produzieren kann, um sie abzuwehren. Schröder: „Der Käfer an sich ist nicht das Problem, er hat seinen festen Platz im Ökosystem. Das Problem ist, dass er die Oberhand gewinnt, weil der Klimawandel das ökologische Gleichgewicht durcheinanderwirbelt.“
Gesucht: Alternative Baumarten
Falk Stähr, Leitung des Sachgebietes Waldbau im Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde, pflichtet seinem Kollegen aus der Forschung bei: „Der Wald steht vor Herausforderungen, denen er sich seit Beginn der Industrialisierung nie stellen musste“, sagt er. „Wir müssen unsere heimischen Bäume um Arten ergänzen, die hitze- und trockenresistenter sind.“
Um herauszufinden, welche Bäume sich eignen, betreiben Universitäten, Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen Testflächen. Vor allem in Wäldern, die sich im Landesbesitz befinden – so auch im Choriner Forst. Neue Baumarten müssen sich ins heimische Ökosystem einfügen. Wie spielen sie mit dem Boden zusammen? Richten sie möglicherweise Schäden an? Und erfüllen sie überhaupt den Zweck, den sie erfüllen sollen? Dies sind Beispiele für Fragen, mit denen sich Wissenschaftler*innen befassen.
Waldbau ist eine langwierige Angelegenheit. Erfolge und Misserfolge sind erst nach Jahrzehnten sichtbar. Deshalb ist es wichtig, gleichzeitig auf mehrere Strategien zu setzen. Bei einer Strategie bestünde das Risiko, dass alles verloren ist, sollte sie scheitern. In der Forschung besteht Einigkeit darüber, dass der Mischwald das Ideal darstellt, das es zu erreichen gilt. Seine Kennzeichen: Bäume unterschiedlichen Alters und vor allem unterschiedliche Arten. Insgesamt ist er weniger anfällig für Schäden als Monokulturen – wie etwa die Fichtenmonokultur im Harz verdeutlicht.
„Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als Ökologie und Ökonomie zu vereinen“, sagt Falk Stähr. „Sonst bringt der Wald keine Erlöse! Nur der ökologisch nachhaltige Wald ist auch betriebswirtschaftlich nachhaltig.“
Mehr Moor, mehr Wasser
Eine weitere Stellschraube, an der sich drehen lässt: Die Wiederverwässerung von Mooren, die in den vergangenen Jahrzehnten trockengelegt wurden. So gelangt Wasser, das der Wald dringend benötigt, wieder zurück in die Landschaft.
Doch oft gibt es Bedenken, beispielsweise aus der Landwirtschaft, berichtet Stähr. Auch Anwohner fürchten, dass ihre Keller volllaufen könnten. „Hier ist Aufklärung ganz entscheidend, wir müssen Vorurteile ausräumen und alle mitnehmen.“
Im Fall der Lieper Posse im Choriner Forst ist die Wiederverwässerung gelungen. Wo Mensch und Tier vor einigen Jahren noch durchlaufen konnten, befindet sich heute das Hochmoor. Der Forstbetrieb hat Staustufen in das Areal eingezogen, sodass sich das Regenwasser staut. Eigentlich erfüllen Biber diese Funktion im Ökosystem – wenn allerdings keine Biber zur Stelle sind, muss die Forstwirtschaft nachhelfen. Die gute Nachricht: Mit dem Moor ist der Biber zurückgekommen.
Fremde Arten nicht ohne Risiko
Zurück zum Holzeinschlag, zurück zu Patricia Stichling und ihrem Team: Inzwischen haben die Forstwirte alle Äste vom Stamm abgetrennt. Bei dem gefällten Baum handelt es sich um eine Douglasie, eine Baumart aus Nordamerika. Sie galt wegen ihrer Robustheit lange als „Wunderbaum“, stößt nun allerdings an Grenzen und ist zum Teil nicht mehr in der Lage, den neuen klimatischen Bedingungen zu trotzen.
Solange wir nicht sicher wissen, wie sich fremde Arten auswirken, besteht immer das Risiko, dass wir dem Ökosystem schaden.
Patricia Stichling
Im Choriner Forst stellen Douglasien nur einen geringen Anteil, denn der Wald ist FSC-zertifiziert. „FSC“ steht für „Forest Stewardship Council“, dahinter verbirgt sich ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltige Waldwirtschaft. Nicht einheimische Baumarten dürfen höchstens fünf Prozent des Bestandes ausmachen.
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Für Stichling, die den Import fremder Arten eher skeptisch sieht, ist das von großer Bedeutung: „Die Wurzeln der Pflanzen bilden mit Pilzen im Boden eine Symbiose“, erklärt sie. Es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit, das System sei sehr sensibel. „Solange wir nicht sicher wissen, wie sich fremde Arten auswirken, besteht immer das Risiko, dass wir dem Ökosystem schaden.“ Dieser Aspekt zeigt: Der Waldbau ist ein Für und Wider, ein ständiges Abwägen und Ausprobieren.
Motorgeräusche, der Schlepper fährt vor. Grüne Markierungen an den Bäumen zeigen den Weg durch die „Rückegasse“, wie es im Forstsprech heißt. Die Greifarme packen den Stamm, die schwere Maschine zieht ihn fort. Beziehungsweise: Sie rückt den Stamm durch die Gasse, zu den anderen Stämmen, die auf einer kleinen Lichtung lagern. Abnehmer sind die Möbelindustrie, Parketthersteller und Betriebe, die Holz für Dachstühle vertreiben. „Einmal hatten wir auch einen Spezialkunden“, erinnert sich Stichling. „Der brauchte Holz, um Kletterbäume für Affen im Zoo zu bauen.“
Die Forstwirte schauen sich um, sie suchen den nächsten Baum mit einer roten Markierung am Stamm – diese zeigt, dass der Baum bereit für den Holzeinschlag ist. Und dann tönt erneut ein „Aaaaachtung!“ durch den Wald, gefolgt vom Aufheulen der Motorsäge.
Text: Christoph Dierking
Vom Wald lernen und Personalmangel beheben
Über Jahrzehnte ist das Forstpersonal im Land Brandenburg immer weniger geworden, beklagt Eberhard Luft, Leiter des Forstbetriebs Chorin und Mitglied im Bund Deutscher Forstleute (BDF). „Wir brauchen Leute, die in den Wald gehen, Bäume pflanzen und ernten. Und auch die Wiederaufforstung der großen Kahlflächen, die aus den vergangenen Dürrejahren resultiert sind, schaffen wir nur mit menschlicher Kraft.“
Laut Zahlen, die dem BDF vorliegen, gab es im Jahr 1992 in Brandenburg noch 6.584 Forstleute. 2003 waren es 2.743, im Jahr 2024 etwa 1.150 – ausgehend von dem Ziel, auf 1.300 Beschäftigte zu kommen, fehlen 11,5 Prozent.
Im nachhaltigen Mischwald beziehungsweise Dauerwald gibt es ausreichend Bäume, viele verschiedene Baumarten und eine gemischte Altersstruktur – zumindest im Optimalfall. „Mit dem Personal sollte es genauso sein“, fordert Luft. „Wir brauchen ausreichend Leute, die verschiedene Kompetenzen einbringen. Außerdem gehören junge, mittelalte und alte Kolleginnen und Kollegen ins Team“ – aktuell bestehe das Problem, dass die Gruppe der Mittelalten nahezu vollständig fehlt. „In der Personalstruktur klafft eine Lücke von gut 20 Jahren, das macht sich auch in der Betriebskultur bemerkbar.“ Eine weitere Folge: Wenn Erfahrungsträger*innen in den Ruhestand gehen, ist niemand mehr da, um Nachwuchskräfte einzuarbeiten. Laut BDF beträgt das Durchschnittsalter der Beschäftigten in Brandenburg etwa 57 Jahre.
Nicht zuletzt ist es schwierig, geeignete und qualifizierte Nachwuchskräfte zu bekommen, berichtet der Förster. „Weil so viele Leute fehlen, müssen wir die nehmen, die wir bekommen. Es wird sicher noch dauern, bis wir wieder eine ausgeglichene Personalstruktur etabliert haben.“ (cdi)