• Alexander Seeger, Landesjugendleiter der dbb jugend in Bayern, moderierte die Podiumsdiskussion zum Thema „Sicherheit am Arbeitsplatz“.
    Alexander Seeger, Landesjugendleiter der dbb jugend in Bayern, moderierte die Podiumsdiskussion zum Thema „Sicherheit am Arbeitsplatz“. Foto: cdi

Beleidigungen und Übergriffe„Beschäftigten den Rücken stärken“ – so lässt sich die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen

Der Trend ist besorgniserregend. Was tun, um Beschäftigte im öffentlichen Dienst zu schützen? Darüber hat die dbb jugend unter anderem mit Sabine Sütterlin-Waack, Innenministerin von Schleswig-Holstein, diskutiert.

Eltern und Kinder, die gegenüber Lehrkräften ausfallend werden. Öffentliche Diffamierungen in den Sozialen Medien. Der Tacker auf dem Schreibtisch, der im Arbeitsamt plötzlich zur Waffe wird. Der Mann in der Behörde, der einen Sachbearbeiter sucht, mit einer Glasscherbe in der Hand. Der Messerangriff in Mannheim, bei dem ein Polizist starb.

Dies sind nur einige Beispiele für Übergriffe, ja Angriffe, mit denen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes konfrontiert sind. Bekannt ist lediglich die Spitze des Eisbergs. Laut einer Studie des Bundesinnenministeriums kommen lediglich drei von zehn Übergriffen zur Anzeige. Angesicht der Tatsache, dass jede vierte Person im öffentlichen Dienst bereits Gewalt am Arbeitsplatz erlebt hat, ist das viel zu wenig, unterstreicht die AG Sicherheit der dbb jugend.

Deshalb haben die jungen Gewerkschafter*innen beim Bundesjugendausschuss, der am 20. und 21. September in Kiel tagte, eine Podiumsdiskussion zum Thema organisiert. Sabine Sütterlin-Waack (CDU), Schleswigs-Holsteins Innenministerin, Christian Zierau, Stadtrat für Finanzen, Ordnung und Feuerwehr in Kiel, sowie Andre Niewöhner vom Präventionsnetzwerk #sicherimDienst nahmen teil, außerdem Iris Bilek und Daria Abramov von der AG Sicherheit der dbb jugend. Alexander Seeger moderierte den Austausch.

Aufruf für mehr Respekt und Selbstkritik

Sabine Sütterlin-Waack stellte gleich zu Beginn klar:

Was Polizei und Feuerwehr durchmachen müssen, dürfen wir nicht hinnehmen. Gewalt gegen Rettungskräfte geht gar nicht!

Sabine Sütterlin-Waack (CDU), Innenministerin Schleswig-Holstein

Entscheidend sei, die Betroffenen nach belastenden Einsätzen aufzufangen. Wer Bedarf hat, soll niedrigschwellige Hilfe in Anspruch nehmen können – etwa durch Psycholog*innen oder geschulte Beamt*innen.

Ob schärfere Gesetze dazu beitragen können, für mehr Sicherheit zu sorgen? Die Ministerin äußerte Zweifel: „Die Leute, die übergriffig werden, schauen nicht vorher ins Gesetzbuch, deshalb sind schärfere Gesetze aus meiner Sicht nicht zielführend.“ Vielmehr komme es darauf an, die bestehenden Gesetze anzuwenden und die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. „Egal, ob haupt- oder ehrenamtlich – wer sich für die Gesellschaft einsetzt, hat Respekt verdient­“, sagte Sütterlin-Waack. „Wir müssen eng zusammenstehen und allen, die Übergriffe erleben, den Rücken stärken.“

Laut einer aktuellen Umfrage des dbb halten 70 Prozent der Menschen den Staat für überfordert. Um Vertrauen wiederherzustellen, rief die CDU-Politikerin die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch zur Selbstkritik auf. Wenn ein wütender Bürger aufs Amt kommt, sei das auch immer ein Anlass, um zu schauen, ob im Einzelfall alles richtig gelaufen ist. Kommunikation auf Augenhöhe sei ein Muss. „Das Ober- und Unterordnungsverhältnis zwischen Verwaltung und Menschen muss dort, wo es noch besteht, endlich ein Ende haben.“

Mehr Know-how durch Vernetzung

Was ist überhaupt ein Übergriff? „Wir unterscheiden zwischen psychischer und physischer Gewalt“, erklärte Iris Bilek, Sprecherin der AG Sicherheit. Am einen Ende der Skala steht die Beleidigung, am anderen Gewalt, die schlimmstenfalls zu Verletzungen oder gar Todesfällen führt.

Bilek ist Polizistin, im Dienst müssen die Beamtinnen und Beamten einiges erdulden. „Klar, das gehört irgendwo zum Job. Vieles richtet sich gegen die Polizei als Institution beziehungsweise gegen den Staat“ – aber klar sei auch, dass es etwas mit den Beschäftigten macht, wenn sie ständig Beleidigungen oder Schlimmeren ausgesetzt sind. „Sobald es persönlich wird, muss es Konsequenzen geben. Dass viele Strafanträge keinerlei Konsequenzen haben, stößt bei den Kolleginnen und Kollegen auf Unverständnis.“

Die junge Gewerkschafterin warb für mehr Vernetzung, um Beschäftigte im öffentlichen Dienst besser zu schützen. Beispiel: „Wir von der Polizei können dank unserer Ausbildung viel Know-how weitergeben, was Deeskalation und Selbstverteidigung betrifft. Davon können andere profitieren“ – denn leider sei es so, dass entsprechende Kenntnisse zunehmend auch in Ämtern und Behörden relevant sind, wo es bislang nicht der Fall war. Beispielsweise bei der Arbeitsagentur oder im Finanzamt.

Mehr Prävention durch Meldesysteme

Vernetzung – das ist auch für Daria Abramov, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend, ein zentrales Stichwort. Sie arbeitet als Teamleiterin im Sozialamt in Wuppertal. „Wenn jemand im Einwohnermeldeamt randaliert hat, weiß ich davon in der Regel nichts, wenn die Person zu uns kommt“, berichtete Abramov. Dabei wäre die Information hilfreich, um gegebenenfalls Vorkehrungen zu treffen.

Abramov forderte: „Wir brauchen überall ein behördenübergreifendes Meldesystem, in Köln gibt es das bereits. Als Gegenargument kommt oft, dass es wegen des Datenschutzes nicht geht. Aber es kann doch nicht sein, dass der Datenschutz wichtiger ist als die körperliche Unversehrtheit der Beschäftigten.“

Ihr Arbeitgeber verfolge eine Null-Toleranz-Strategie, erklärte die Gewerkschafterin. Was einen Straftatbestand erfüllt, wird zur Anzeige gebracht. „Das ist noch keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen Führungskräfte so schulen, dass sie ihren Beschäftigten den Rücken stärken. Niemand soll Beleidigungen und Übergriffe hinnehmen müssen.“

Blinde Flecken nicht vergessen

Das Netzwerk #sicherimDienst leistet Präventionsarbeit für Beschäftigte im öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen; mehr als 750 Behörden, Institutionen, Verbände und Organisationen sind beteiligt. „Was Übergriffe betrifft, gibt es immer noch blinde Flecken, die wir uns auch anschauen müssen“, sagte Andre Niewöhner vom Netzwerk. „Die Bademeister-Debatte ist durch die Medien bekannt, die Situation im Straßenwesen hingegen kaum.“

Was aus Sicht des Netzwerks zu tun ist? Zentral ist eine ganzheitliche Vorgehensweise. Diese erstreckt sich über mehrere Ebenen, erklärte Niewöhner. Zunächst umfasst Prävention bauliche und technische Maßnahmen: Dazu gehören etwa Alarmknöpfe unter dem Schreibtisch, die Beschäftigte im Notfall drücken können, und ein geregelter Fluchtweg. Auch personenbezogene und organisatorische Maßnahmen spielen eine große Rolle: Damit sind beispielsweise Schulungen gemeint, die vermitteln, was im Ernstfall zu tun ist. Führungskräfte sind in der Verantwortung, alles in die Wege zu leiten. „Viele Behörden wissen gar nicht, dass man sich die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle für eine Begehung ins Haus holen kann“, berichtete Niewöhner. „Diese hat immer wertvolle Tipps parat.“

Für den Experten sind zwei weitere Aspekte von großer Bedeutung. Erstens: „Machen Sie das Thema zum Thema! Nur so kommen die Dinge ins Rollen.“ Und zweitens: „Tauschen Sie erfolgreiche Konzepte aus. Es müssen nicht alle das Rad neu erfinden!“ Beispiel: In Wuppertal verschickt das Sozialamt blaue Briefe an alle, die durch unangemessenes Verhalten aufgefallen sind. „Das hat tolle Effekte. Manche entschuldigen sich, sagen, sie hätten einen schlechten Tag gehabt, oder kommen sogar mit Blumen vorbei.“

Mehr Personal, mehr Zufriedenheit

Die Stadt Kiel verzeichne eine jährlich vierstellige Zahl an Übergriffen auf Beschäftigte, sagte Christian Zierau, Stadtrat für Finanzen, Ordnung und Feuerwehr. Er verwies darauf, dass die Beschäftigten in vielen Behörden unter hohem Druck stehen, unter anderem im Bereich Zuwanderung. „Es ist kaum möglich, die Aufgaben zügig abzuarbeiten und den Menschen schnelle Antworten zu geben“ – das erzeuge mitunter Frust. Deshalb sei es so wichtig, dass Personaldecke und Ausstattung stimmen.

Mehr entdecken: Im Dienst beleidigt – was Betroffene wissen müssen

„Bei der Feuerwehr habe ich gelernt: Der Löschzug fährt nur vollständig raus und das muss auch so sein, sonst kommt die Hilfe nicht an“ – in der Verwaltung seien die Teams fast nie vollständig. Zierau: „Aber funktionieren muss es trotzdem, da sind die Führungskräfte gefragt, gutes Personalmanagement und innovative Prozesse.“ All das trage dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger zufriedener sind – und es damit weniger Anlässe für Aggressionen und Übergriffe gibt.

Text: Christoph Dierking

Auf einen Blick: Wie für mehr Sicherheit sorgen?

Informieren und aufklären. Probleme lassen sich nur lösen, wenn sie als solche erkannt werden.

Führungskräfte sensibilisieren. Werden Vorfälle ernst genommen? Gibt es eindeutige Meldestrukturen? Besteht Klarheit darüber, wie ein Strafantrag zu stellen ist? Diese Fragen gilt es zu klären.

Strafantrag stellen. Dies ist der erste Schritt dafür, dass Recht auch durchgesetzt werden kann.

Expert*innen ins Boot holen. Behörden können etwa vom Wissen der Polizei profitieren, unter anderem in Hinblick auf Deeskalationsstrategien. Entscheidend ist, dass das Wissen über Schulungen an alle Mitarbeitende vermittelt und vor allem trainiert wird.

Behördenübergreifende Meldesysteme schaffen. Wenn Mitarbeitende wissen, dass jemand woanders schon einmal auffällig geworden ist, sind sie vorgewarnt und können Vorkehrungen treffen.

Bauliche und technische Maßnahmen umsetzen. Dazu gehören etwa zweite Ausgänge in den Büros und Alarmsysteme.

Service verbessern. Zufriedene Bürger*innen haben weniger Anlässe dafür, aggressiv aufzutreten. Der Staat muss die Voraussetzungen schaffen, damit die Beschäftigten ihren Aufgaben gerecht werden können. Ausreichend Personal, effektives Personalmanagement und eine zeitgemäße digitale Ausstattung sind ein Muss.